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Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch

Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch

Titel: Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Pieper , Annette Großbongardt
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Schriften.
    SPIEGEL: Also nicht die düstere Endzeit-Erwartung des Mittelalters?
    MARKSCHIES: Nein, deutlich hoffnungsfroher. Erwartet wird nicht der Untergang der Welt, sondern dass der Messias die Dinge auf Erden richtet. Sichtbarer Ort dafür soll Jerusalem sein, in dem, so steht es in rabbinischen Texten, die Häuser alle so hoch sein werden »wie der Weg von Jerusalem bis ans Meer«.
    SPIEGEL: Was bedeutet eigentlich Menschensohn? Das ist doch jeder.
    MARKSCHIES: Der Prophet Daniel im Alten Testament sagte voraus: Der da einst die Herrschaft in Gottes Auftrag übernehmen werde, sehe aus »wie der Sohn eines Menschen«. Das heißt, es wird keine Gottesgestalt sein. Die Menschen damals hatten ja eine ganz andere Bibelkenntnis. Wenn man also Menschensohn sagte, wussten sie, das ist das Wort des Propheten Daniel. In der Zeit Jesu beginnt es, dass von einer Gestalt neben dem göttlichen Thron oder auf dem Thron die Rede ist.
    SPIEGEL: Hat sich Jesus selbst als Messias gesehen?
    MARKSCHIES: Die Wissenschaft würde nicht so furchtbar darüber streiten, wenn das eindeutig wäre. Anders als beim Menschensohn nimmt er das Wort nie selbst in den Mund, sagt nie affirmativ: Ja, ich bin der Messias. Es bleibt immer irgendwie vage, andeutend. Für mein Verständnis ist relativ deutlich, dass er sich bestimmten Teilen der messianischen Erwartung verweigert, und zwar offenkundig der radikal-politischen Auslegung. Das zeigt die berühmte Geschichte mit der Kaisermünze: Sollen wir Steuern zahlen oder verweigern? Er sagt: Wer ist denn drauf auf der Münze? Der Kaiser – also zahlt dem die Steuer.
    SPIEGEL: Damals sind einige Propheten unterwegs, Wanderprediger, Wunderheiler, und nun ausgerechnet er – ein Mann aus einem Dorf, Sohn eines Bauhandwerkers, ohne theologische Ausbildung, aber er hat offenbar ein Talent zur Predigt. Was treibt ihn an?
    MARKSCHIES: Er glaubte tatsächlich, er sei allein zum Volk Israel gesandt, von Völkermission kann da keine Rede sein. Obwohl er nicht studiert hat, hält er sich für berufen, die Schrift auszulegen. Und er tut das mit ungeheurer Souveränität. Er kann, und das ist im Nahen Osten gar nicht so selten, auch als einfacher Mensch starke Sätze formulieren. Nehmen Sie etwa: »Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge, und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem Auge?« Da wird fern jeder Gelehrsamkeit Lebenswahrheit verdichtet. Und offenbar war er tatsächlich jemand, der Kranke gesund machen konnte.
    SPIEGEL: Das könnte ja auch konstruiert sein, um seine Göttlichkeit zu belegen.
    MARKSCHIES : Nein, dafür gibt es viel zu viele Überlieferungen davon. Ich glaube, man muss anerkennen, dass er bei bestimmten Krankheitsbildern eine signifikante Besserung erzielen konnte.
    SPIEGEL: Durch Handauflegen?
    MARKSCHIES: Ja, die Hände sind wichtig. »Wenn ich mit dem Finger Gottes die Dämonen austreibe, dann ist die Königsherrschaft Gottes da.« Dies halte ich auch für eines der authentischen Jesus-Worte. Er selbst hat die Krankenheilungen als Zeichen des anbrechenden Reiches gesehen.
    SPIEGEL: Was sind die Belege, wenn Sie sagen, das sind für mich authentische Jesus-Worte?
    MARKSCHIES: Ich mache das in einer Art Subtraktionsverfahren; wie bei einem Kuchen versuche ich, die oberen Schichten abzutragen bis zum Boden, auf dem ein Bild von Jesus sichtbar wird, das in den Evangelien bezeugt ist und das sich in langen Jahren der Forschung als wahrscheinlich herausgestellt hat. Wo ich den Eindruck habe, man kann es in die Sprache Jesu, das Aramäische, zurückübersetzen und es passt. Früher hätte man sich an dem orientiert, was nicht zum umgebenden Judentum passt. Ich sehe es genau umgekehrt: Was die Figur beheimatet im nordgaliläischen Raum, was sich dort hineinfügt, ist aussagekräftig.
    SPIEGEL: Jesus mied die hellenisierten Städte am See, warum eigentlich?
    MARKSCHIES: Ich glaube, er war sozusagen sturzfromm. Nach Tiberias ging man als frommer Jude schon gar nicht, weil die Stadt auf Gräbern gebaut und deshalb unrein war.
    SPIEGEL: Warum aber geht er nach Jerusalem? Wollte er mehr Anhänger gewinnen? Die Tempelpriesterschaft aufmischen?
    MARKSCHIES: Weil er als frommer Jude an den Wallfahrtsfesten teilnahm. Es ist die Zeit des jüdischen Pessachfestes. Dass er fromm war, kann man etwa in der Geschichte von der Heilung der blutflüssigen Frau ablesen, da heißt es, sie fasst an die Quasten seines Gewandes – das sind die Gebetsfäden eines frommen Juden. Er kleidet sich also

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