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Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch

Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch

Titel: Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Pieper , Annette Großbongardt
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wie ein frommer Jude, er sah gewiss nicht so aus, wie ihn etwa der dänische Bildhauer Bertel Thorvaldsen darstellt …
    SPIEGEL: … der ihn Anfang des 19. Jahrhunderts als gut gebautes, eher nordisch aussehendes Idol mit langen Haaren und Mittelscheitel zeigt. Vermutlich hatte Jesus sogar Schläfenlocken wie die ultraorthodoxen Juden noch heute?
    MARKSCHIES: Möglich, es gibt ja ein später übermaltes Bild von Max Liebermann, Jesus als jüdischer Junge im Tempel, das für viel Aufregung gesorgt hat. Es ist aber sicher richtiger, wenn auch provozierender, als all die blonden und arischen Jünglinge.
    SPIEGEL: Beim Einzug in Jerusalem wird er bejubelt?
    MARKSCHIES: Stärker noch, er bekommt einen messianischen Einzug.
    SPIEGEL: Woher wissen die Menschen von ihm?
    MARKSCHIES: In einer Gesellschaft, wo sehr viele Gerüchte unterwegs sind, spricht es sich herum, wenn in Galiläa – das ist ja nicht weit weg – ein Prophet auftritt, der eine Schar von Anhängern um sich gesammelt hat. Es gibt viele Kranke, und da wird gesagt, der kann Kranke heilen.

»Der zwölfjährige Jesus im Tempel«
    (Ölgemälde von Max Liebermann, 1879, übermalte Version: Jesus trägt nun ein gefälligeres Kleid, die Haare sind länger und ohne Ansatz von Schläfenlocken)
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SPIEGEL: Aber hier interessiert sich Jesus nicht für das Volk, er geht vielmehr in den Tempel und legt sich mit den Händlern und Hohepriestern an.
    MARKSCHIES: Das ist zentral: Er stößt die Tische der Wechsler um. Es gab eine eigene Tempelwährung, in die musste man sein Geld umtauschen. Das heißt, da macht jemand das Funktionieren des Tempels unmöglich, indem er die finanzielle Basis angreift. Offensichtlich hat er bei diesem letzten Pessachfest gedacht, das sage ich in aller Vorsicht, es ist jetzt Zeit, einen Schritt zu tun, der klarmacht, dass mit meiner Person etwas ist, das mehr bedeutet als der Tempel, das ihn im gewissen Sinne sogar überflüssig macht: Mit mir geschieht etwas Zentrales auf dem Weg zur Gottesherrschaft. Damit unterscheidet er sich fundamental von den Christen der Urgemeinde, die gehen ja wieder ganz brav in den Tempel und befolgen die Kulte.
    SPIEGEL: Jesus zeigt eine überraschende Aggressivität bei dieser im Wortsinn umstürzlerischen Aktion. Vorher wirkt er doch eher sanft.
    MARKSCHIES: Er setzt gern Zeichen, auch skandalöse, er heilt am Sabbat. Seine Zeichen haben im Grunde fast alle einen provozierenden Charakter.
    SPIEGEL: Muss er gewusst haben, dass Jerusalem für ihn gefährlich ist?
    MARKSCHIES: Es gibt neutestamentliche Äußerungen, aus denen man folgern kann, dass er gewusst hat, was da passiert. Ihm muss klar gewesen sein: Man kann nicht einfach ein Attentat auf das Funktionieren des Tempels unternehmen, ohne dass dies eine ziemlich schroffe Gegenreaktion hervorruft.
    SPIEGEL: Hat er den Märtyrertod gesucht?
    MARKSCHIES : Das Alte Testament hält beim Propheten Jesaja dafür ein Modell bereit: Der, der sein Leben für die Sünden des Volkes hingibt. Es gibt auch diesen Satz im Neuen Testament, der Menschensohn ist gekommen, um sein Leben als Lösegeld für viele hinzugeben. Das kann natürlich eine spätere Deutung des Leidens Jesu sein, aber man kann sich auch gut vorstellen, dass er das am Schluss wirklich so denkt. Ich glaube, zuvor in Galiläa sah er sich so: Ich heile durch Dämonenaustreibung und Schriftauslegung die Welt und richte das Reich Gottes auf.
    SPIEGEL: Eigentlich ist das ja ganz schön vermessen: Ich, der Sohn eines Zimmermanns, errichte das Reich Gottes!
    MARKSCHIES: Sicher. Die Zeitgenossen konnten das nur für den völlig aberwitzigen Anspruch eines Irren halten oder sagen: Das glaube ich.
    SPIEGEL: Jesus stirbt am Kreuz – ist dies der Moment, in dem das Christentum entsteht?
    MARKSCHIES: Nein, ich glaube, es entsteht, indem Leute kommen und sagen, sein Leben ist nicht gescheitert, sondern er lebt. Wir haben ihn gesehen! Zunächst sitzen alle ganz verzagt da, es ist ja das Peinlichste passiert, was überhaupt passieren kann, Sklaventod am Kreuz – Verflucht ist, wer am Holz hängt!, sagt das jüdische Gesetz –, also alles ganz dramatisch. Und dann kommen sie und sagen, er lebt. Und sie ziehen durch das Römische Reich und erzählen das weiter, selbst wenn sie verprügelt werden.
    SPIEGEL: Paulus thematisiert das Anstoßerregende des Kreuzigungstodes für die Zeitgenossen, für Jesu Anhänger gilt das aber nicht mehr. Liegt nicht auch hierin ein Geburtsfaktor der neuen Religion? Der Tod

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