Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch
ist nicht mehr das Ende, in ihm steckt sogar eine zentrale Botschaft?
MARKSCHIES: Das ist die besondere Theologie des Paulus. Der war ja offenbar ein kluger Schriftgelehrter und hatte eine gute theologische Ausbildung. Und so kommt ihm am Anfang des ersten Korintherbriefes diese faszinierende Idee, zu sagen: Um alle Weisheit von Schriftgelehrten zu beschämen, ist gerade das erwählt worden, was verworfen erscheint.
SPIEGEL: Wie ist es zu erklären, dass ausgerechnet in der Randlage des Römischen Reichs, im tiefsten Galiläa, eine neue Religion entspringt?
MARKSCHIES: Obwohl Jesus von Nazareth das gar nicht wollte, formulierte die erste Generation der Christen ein generelles Angebot für das Römische Reich: Ich muss nicht mehr zuerst gesetzesfrommer Jude werden, um diesem Mann nachzufolgen. Gleichzeitig stehen Missionare bereit, die ausschwärmen und im ganzen Reich dafür werben. Sie werben erst mal in den jüdischen Synagogen, da gibt es eine Zweiklassengesellschaft der Beschnittenen einerseits, die aktiv Mitglied sind, und der vielen Sympathisanten, die das Judentum nicht wirklich hereinholt. Damit gibt es genügend Leute, die sich freuen, wenn sie mal irgendwo richtig dazugehören können.
SPIEGEL: Der preußische Theologe Adolf von Harnack benannte als Faktoren der Ausbreitung: »ein Imperium, eine Weltsprache (das Griechische), ein Verkehrsnetz, eine Kultur, eine gemeinsame Entwicklung zum Monotheismus und eine gemeinsame Sehnsucht nach Heilanden«. Trifft es das?
MARKSCHIES: Das beschreibt nur die äußeren Voraussetzungen. Harnack hat aber auch einmal gesagt: Diese Religion zeichnet sich aus durch eine rigorose Ethik auf der einen Seite – und eine unglaubliche Großzügigkeit auf der anderen. Sündenstrafe und Askese gehören ebenso zum Bild wie der humane Dreiklang von Reue, Buße und Vergebung.
SPIEGEL: Passiert die Ablösung vom Judentum allmählich, oder gibt es markante Einschnitte?
MARKSCHIES: Ein zentraler christlicher Trennungsschritt scheint mir der Verzicht auf die Beschneidung. Und der jüdische Scheidepunkt ist der Ausschluss aus der Synagoge, wie bei Paulus beschrieben. Das ist schon in der Mitte des 1. Jahrhunderts abgeschlossen. Natürlich gibt es immer noch Christen, die den jüdischen Gesetzen treu bleiben, aber an dieser Stelle verläuft ein zentraler Trennungsstrich. Gleichzeitig bleiben Judentum und Christentum bis weit in die Spätantike eng miteinander verbunden und aufeinander bezogen.
SPIEGEL: Wie viel Jüdisches steckt im Christentum? Einiges hat sich offenkundig aus jüdischen Ritualen entwickelt – das Abendmahl aus dem Sedermahl, die zwölf Stämme Israels finden sich in den zwölf Jüngern, das persönliche Gebet, die Gottesdienstordnung.
MARKSCHIES: Ja, bis heute enthält der christliche Gottesdienst jüdische Elemente, etwa in der Psalmenlesung.
SPIEGEL: Gab es zu Beginn noch stärkere Bestrebungen, sich vom Judentum abzugrenzen? Etwa das Alte Testament als heilige Schrift abzulehnen?
MARKSCHIES: Die hat es leider schon sehr früh gegeben. Im 2. Jahrhundert tritt in Gestalt von Markion ein Theologe auf, der den Gott des Alten Testaments vom Vater Jesu Christi trennt und das Alte Testament zurückweist. Und es ist vermutlich das allgemeine Entsetzen über Markion gewesen, das dazu geführt hat, dass diese Linie seitdem relativ entschieden abgelehnt wird.
SPIEGEL: Woher kommt in dieser Zeit überhaupt die Bereitschaft, ja Sehnsucht, einer neuen Religion zu folgen?
MARKSCHIES: Erst mal gilt für die Antike: Viel hilft viel. Die Menschen waren offen für neue Angebote. Die Antike ist auch fromm. Die Missionare begriffen, dass die Botschaft mehr Menschen betrifft als nur die Juden, auch wenn Jesus nur von den verlorenen Schafen des Hauses Israel sprach.
SPIEGEL: Die römischen Religionen hatten ja auch nicht diesen Ausschließlichkeitsanspruch.
MARKSCHIES : Die Menschen merkten aber nach einiger Zeit, der neue Glaube ist nicht einfach einer unter vielen.
SPIEGEL: War die soziale Botschaft wie etwa in der Bergpredigt besonders attraktiv? Die Hinwendung zu den Unterprivilegierten?
MARKSCHIES: Das frühe Christentum betrieb eine unglaublich erfolgreiche Sozialdiakonie. Not konnte im Römischen Reich nur durch direkte staatliche Intervention kuriert werden. Bei einer allgemeinen Hungersnot musste der Kaiser persönlich dafür sorgen, dass Getreide aus Ägypten kommt. Aber ein Einzelner fand keine Hilfe. Die Christen dagegen kümmerten sich um die Witwen und Waisen
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