Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch
Ahnenverehrung, Gehorsam gegenüber Älteren und Integration in die Gemeinschaft, Aufrichtigkeit, Menschlichkeit und Gerechtigkeit. Einigen Vermutungen zufolge soll er auf seiner großen Wanderschaft einem anderen chinesischen Weisen begegnet sein – Lao-tse. Dessen Biografie ist allerdings von Legenden umrankt, so dass Lao-tses Existenz angezweifelt wird. Dabei gilt er als einer der Begründer der Lehre vom »Weg« (»Dao«), die unter dem Namen Daoismus bekannt ist. Philosophisch wird mit dem Begriff Dao den Menschen der Weg gewiesen, die Unwägbarkeiten des Lebens durch Einfachheit und Genügsamkeit hinter sich zu lassen. Mit Buddhismus und Konfuzianismus bildet der Daoismus das geistige Trio der »drei Lehren«, die China und andere Teile Ostasiens prägten. Über Jahrtausende haben Buddhismus, Konfuzianismus und Daoismus meist friedlich koexistiert. Die drei Lehren ergänzten und befruchteten einander.
Mancher mag glauben, es handle sich eher um Philosophien als um Religionen. Doch diese Trennung kennt das asiatische Denken nicht: In den »Religionen des ewigen Weltgesetzes« geht beides wie selbstverständlich ineinander über.
TEIL II
DIE ANTIKE WELT
Schimmernde Pracht
Das Jerusalem der Jesuszeit war eine jüdische Pilgerstadt, der Tempel sein beherrschendes Zentrum – und Quelle des Wohlstands.
Von Gil Yaron
Sie waren seit Tagen, manche schon seit Monaten unterwegs. Mühsam schleppten sich die Karawanen aus Galiläa, Syrien und Ägypten, aus Arabien, Persien und weit entfernten Ecken des Römischen Reichs durch den Schlamm breiter Bergpfade. Trotz aller Erschöpfung wurden die Gruppen immer euphorischer, je näher sie ihrem Ziel kamen. Mal schritten Musikanten am Kopf der Prozessionen, mal war es ein Stier, der mit vergoldeten Hörnern und Olivenzweigen um den Kopf zu seiner Schlachtung getrieben wurde, dahinter die Menge, die Psalmen sang. An den Gürteln der mit Leinenponchos bekleideten Männer baumelten scharfe Messer, mit denen bald ein Opfertier geschächtet werden würde. »Viele ergriff wohl schon weit vor der Stadt eine religiöse Ekstase«, sagt der Archäologe Shimon Gibson.
Auf dem letzten Bergkamm vor dem Reiseziel erreichte die religiöse Verzückung der Pilger einen ersten Höhepunkt: Vor ihren Augen erhob sich die himmlische Stadt, Sitz ihres einzigen Gottes, oder in den Worten des Zeitgenossen Plinius des Älteren die »bei weitem berühmteste Stadt im Morgenland« – Jerusalem. »Auf allen Seiten mit schweren goldenen Platten bekleidet, schimmerte der Tempel bei Sonnenaufgang im hellsten Feuerglanz und blendete das Auge gleich den Strahlen des Tagesgestirns«, schrieb der Zeitzeuge Josephus Flavius. Das Heiligtum auf dem Moria-Berg war weithin sichtbar: »Fremden, die nach Jerusalem pilgerten, erschien der Tempel von fern wie ein schneebedeckter Hügel; denn wo er nicht vergoldet war, leuchtete er in blendender Weiße.« Das Allerheiligste in seiner Mitte reichte, so schätzt der Archäologe Joshua Schwartz von der Bar-Ilan-Universität, »wahrscheinlich um die 56 Meter, also etwa 17 Stockwerke in die Höhe«. Nur die Antonia-Festung, Sitz der rund 3000 römischen Besatzungssoldaten, überragte laut Josephus das jüdische Heiligtum.
Je näher die Pilger ihrem Ziel kamen, desto dichter wurde der Verkehr. Sie teilten sich den Pfad mit Eseln, Schafen, Kamelen, Rindern und Pferden. Karren wurden wegen der Stufen unterwegs kaum genutzt. Die Bergstadt in Judäa war mit 40000 bis höchstens 120000 Einwohnern verhältnismäßig klein. In Rom wohnten bereits mehr als eine Million Menschen. Doch zu den drei Wallfahrtsfesten strömten »Zehntausende aus Zehntausenden von Städten« zum Tempel, so der jüdisch-hellenistische Gelehrte Philo von Alexandrien. Heutige Forscher sprechen von mindestens 100000 Pilgern, die zum wichtigsten Wallfahrtsfest Pessach nach Jerusalem reisten. Solch ein »singulärer Fokus auf einen Gott, der nur einen Tempel in einer besonderen Stadt hatte, war einzigartig«, schreibt der israelische Archäologe Lee Levine. Schon vor 2000 Jahren war Jerusalem mehr Mantra als Metropole, eine Stadt mit Fan-Gemeinde.
Die Bergstadt thronte über fruchtbarem Land »voll wilden und zahmen Obstes«, beschrieb es Josephus. »Ölbaumhaine, Getreide und Hülsenfrüchte, Wein und viel Honig«, so der Aristeasbrief aus dem 2. Jahrhundert v. Chr., sprossen auf den kilometerweit terrassierten Hügeln rundum. Im Gegensatz zum idyllischen Anblick der grünen, fruchtbaren Täler und der
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