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Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch

Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch

Titel: Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Pieper , Annette Großbongardt
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über warm.
    Mode wurde zum Kennzeichen religiöser und politischer Haltung: »Einen gläubigen Juden konnte man an seiner Kleidung erkennen«, so Schwartz. Zwar gab es noch keine jüdische Kopfbedeckung, Gebetsriemen und Tziziot hingegen – Quasten an den vier Ecken eines Überwurfs – schon. Einer der weißen Fransen wurde mit dem Farbstoff der Purpurschnecke blau gefärbt. So wurde Glauben zur Modenschau. Jesus verurteilte derart präsentierte Religiosität als Heuchelei: »Sie machen ihre Gebetsriemen breit und die Quasten an ihren Kleidern groß«, wetterte er. Trug ein Mann einen Poncho, der Flachs und Wolle enthielt, war er Fremder oder Priester. Dem Normalbürger war »Schatnes«, so heißt diese Mischung aus Schurwolle und Leinen auf Hebräisch, verboten. Bestimmte Frisuren waren ebenfalls verpönt, konstatiert der Historiker Martin Goodman, »um nicht wie Fremde auszusehen«. Geächtet war, »wer sein Fronthaar zu kurz schneidet, oder seine Locken zu lang wachsen lässt, oder eine Glatze in Sternform ausschneidet«.
    Die wohlhabende Elite speiste von rot bemalten, importierten Tellern und schlürfte verdünnten Wein aus durchsichtigen Gläsern. Von Sklaven bewirtet, lehnte man sich gemütlich im Wohnzimmer zurück, während das Essen auf niedrigen, dreibeinigen Tischen serviert wurde. Die Mittelschicht bevorzugte Steingeschirr, weil das als unempfänglich für rituelle Unreinheit galt. In der Unterstadt wird man sich um ein, zwei große Schalen mit Essen versammelt und sich daraus gemeinsam bedient haben. Die Vorschriften koscheren Essens galten für Arm und Reich: »In der Müllhalde vor Jerusalem haben wir keinen einzigen Schweineknochen gefunden, anders als in den Städten an der Küste«, sagt Reich. Dennoch gab es auf den Tellern reichlich Auswahl: Rindfleisch kam nur selten auf den Teller, dafür öfter mal Geflügel, Schaf- oder Ziegenfleisch. Am Sabbat bevorzugte man Fisch. Daneben wurden mehr als zwanzig verschiedene Sorten Gemüse serviert, wie Linsen, grüne Bohnen oder Puffbohnen. Feigen und Datteln aß man gern auch mal als Kuchen. Dazu mischte man Johannisbrot, Birnen, Äpfel, Pfirsiche, Sesamsaat, Nüsse oder Granatäpfel. Morgens gab es in Essig getunktes Fladenbrot oder Honig, Apfelsinen und Zitronen. Süßmäuler stillten ihren Durst mit Dattelsaft, dem Lotusextrakt beigemischt war.
    In den zahlreichen Tavernen der Unterstadt wurden Wein aus Samaria, edle Tropfen aus Zypern oder Rhodos sowie importiertes Bier ausgeschenkt, dazu reichte man gesalzenen Fisch oder gebratene Heuschrecken. Hier befand man sich in einem quirligen, »heterogenen Stadtviertel der Unter- und Mittelschicht«, so Levine. Für Amüsement war gesorgt: Im Soho Judäas könnte König Herodes das bis zu 500 Meter lange Hippodrom errichtet haben. In der Unterstadt hausten die Ureinwohner Jerusalems und arme Zuwanderer aus Judäa in ein- bis zweistöckigen Kalksteinhäusern direkt bei ihren Geschäften, meint Levine. Besonders montags und donnerstags feilschte man auf dem Markt am Cardo, der als Kreuzungspunkt der städtebaulichen Hauptachsen angelegt war. Unter den Dächern des Säulengangs am Straßenrand unterhielten Weber, Färber, Schmiede und Töpfer ihre Stände neben Bäckern, Schuhmachern, Geldwechslern, Künstlern und Parfumherstellern, die sich an den Essenzen aus Jerusalems Rosengärten eine goldene Nase verdienten.
    In den verwinkelten, schmalen Gassen der Unterstadt wohnten auch die niederen Berufsstände. Verächtlich erwähnt der jüdische Talmud Esel- und Kameltreiber, Seefahrer, Schäfer, Ärzte und Metzger, Hundekotaufsammler, Würfelspieler, Wucherer, die Organisatoren der Taubenwettkämpfe, Steuereintreiber und Händler, die Ware aus dem Sabbatjahr verkauften. Müllmänner und Gerber hatten mit einem besonderen Problem zu kämpfen: Ihre geruchlich beanspruchten Gattinnen durften Scheidung einreichen. Das Recht stand Frauen sonst nur zu, wenn ihr Mann an Lepra litt.
    Weil es preiswerte Immobilien gab, ließen Diasporagemeinden hier Zentren einrichten. Nach Schätzungen hatte Jerusalem zu Jesu Lebzeiten Hunderte Synagogen. Diese fungierten nachts als kostenlose Herbergen für Pilger, denen man ja kein Geld für die Übernachtung abnehmen durfte. Stattdessen schenkten sie ihren Gastgebern das Fell eines Opfertiers. Neben den Gemeindezentren errichteten reiche Juden aus dem Ausland und Konvertiten beeindruckende Paläste. Die soziale Spaltung der Stadt dürfte zu Spannungen geführt haben. Etliche Jahre

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