Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch
nach Jesu Tod wurde die Unterstadt zur Brutstätte der Sikarier, jener nationalistischen Revolutionäre, die in Jerusalem mit Meuchelmorden Schrecken verbreiteten. Schlanke, scharfe Dolche galten als ihre bevorzugte Waffe.
Die Unterschicht Jerusalems war wohlhabender als die Landbevölkerung, die damals häufig noch in Höhlen hauste: »Jerusalem war eine reiche Stadt«, sagt Gibson. Quell des Wohlstands war der Tempel, an den Juden in der Diaspora eine Steuer zu entrichten hatten. Aus dem Tempelschatz wurden gewaltige Bauprojekte finanziert. Jahrzehntelang bestand Jerusalems Geräuschkulisse aus dem Hämmern, Klopfen und Rufen von rund 18000 Bauarbeitern, die aus dem Kalkstein der Umgebung und weißem Marmor ein Weltwunder meißelten.
Der Tempel war der wichtigste Arbeitgeber Jerusalems: Die Priesterfamilie Garmo hatte ein Monopol für das Backen der Schaubrote im Heiligtum, andere stellten Gefäße für den Opferkult her oder versorgten den Tempel mit Holz. Da Opfertiere makellos sein mussten, brachten viele Pilger Geld mit und kauften in Jerusalem Vieh – eine sichere Einnahmequelle für Bauern und Hirten der Umgebung. Im Tempel nahm man nur den 14 Gramm schweren Tetradrachmen aus der phönizischen Stadt Tyros an. Eigentlich überraschend, zeigte seine Prägung doch den Stadtgott Melkart. Das Vertrauen in seinen konstanten Silbergehalt schien schwerer gewogen zu haben als das jüdische Bilderverbot. Die Währung war die Profitquelle der Geldwechsler.
Hoch über diesem kunterbunten Treiben wohnte die Elite der Oberstadt. Sie genoss einen »guten Ausblick auf den Tempelberg«, schreibt die israelische Historikerin Miriam Feinberg Vamosh. Zum Tempel gelangten die Reichen über eigens errichtete Brücken, um sich nicht unter den Plebs mischen zu müssen. Der obere Markt war Jerusalems Edel-Shoppingmeile: Hier wurden Parfum und Seide, Schmuck, Weihrauch und Elfenbein feilgeboten. Auch unkoschere Schlemmereien aus dem Römischen Reich waren erhältlich, weswegen der Markt frommen Juden als unrein galt und Ausländer hier gern einkauften. König Herodes hatte viele Nichtjuden als Berater oder Wächter am Hof, seine Leibgarde bestand aus 400 Galliern, Germanen und Thrakiern. Später arbeiteten sie direkt im Auftrag Roms. Goodman zufolge besuchten sie wahrscheinlich auch das von Herodes dem Großen errichtete Theater, in dem griechische Stücke aufgeführt wurden. Die vierjährigen Festspiele, zu denen Herodes Schauspieler aus Nachbarländern einlud, vermeintliche Verbrecher von Löwen zerreißen ließ und die Sieger der Pferderennen und Gladiatorenkämpfe fürstlich belohnte, dürften zu Jesu Lebzeiten nicht mehr stattgefunden haben: »Aus Sicht frommer Juden waren solche Veranstaltungen keine vergnüglichen Spektakel, sondern barbarischer Mord«, sagt Schwartz.
Trotz der Ausländer und der unkoscheren Waren residierten auch hochrangige Priester in den mit weißem Marmor verkleideten Villen des Nobelviertels westlich des Tempelbergs. Manche Räume in den bis zu 600 Quadratmeter großen Domizilen waren drei Meter hoch. Die Residenzen hatten zwei Etagen, Keller mit Speicherräumen, eigene Zisternen und feine Mosaikfußböden. Die Wände waren zumeist weiß verputzt. Fenster blickten auf die reichverzierten Innenhöfe, die Häuser glichen kleinen Festungen. Von den breiten, baumgesäumten Alleen des Stadtviertels trennten sie hohe Mauern. Die Alleen mündeten in offenen Plätzen; hier wurde der römische Einfluss auf Herodes’ Stadtplanung offenbar.
Keine Priestervilla konnte es in ihrer Pracht jedoch mit seinem Palast aufnehmen, später Residenz der römischen Statthalter: Gut geschützt hinter einem Graben und einer 13 Meter hohen Mauer, lebte der König in Saus und Braus. Die »prunkvolle Ausstattung spottete jeder Beschreibung und stellte alles bislang Dagewesene in den Schatten«, schrieb Josephus. In den »kolossalen Speisesälen standen Ruhepolster für Hunderte Gäste. Die meisten Zimmergeräte waren aus Silber und Gold«. In den Lustgärten vor dem Palast »mit langen Spazierwegen« und »Teichen mit zahlreichen ehernen Kunstwerken« sprudelte das Wasser in den Brunnen aus Tierköpfen, für fromme Juden ein ketzerischer Anblick.
Doch selbst Herodes’ Prunkpalast konnte nicht mit dem Tempel konkurrieren, der ein Siebtel der Stadtoberfläche einnahm: »Wer den Tempel des Herodes nicht gesehen hat, hat in seinem Leben kein schönes Gebäude gesehen«, heißt es später im Talmud. Auf dem Vorhof fanden zu den
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