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Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch

Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch

Titel: Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Pieper , Annette Großbongardt
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eines Messias verhießen.
    Religiöse Eiferer gab es in diesen Zeiten reichlich: Der Mann aus Nazareth verfügte allerdings bereits über eine beachtliche Anhängerschaft und besaß offenbar das Zeug zur charismatischen Führungsfigur. Die jüdische Tempelelite reagierte verärgert und empört über diesen neuen Unruhestifter, der im Tempel die Tische der Händler und Geldwechsler umgeworfen hatte und auch sonst durch respektlose Auftritte von sich reden machte. Was für eine Provokation, so kurz vor dem Pessachfest! Die Autorität der Glaubensführer stand auf dem Spiel. Deshalb schwärzte Kaiphas den Unruhestifter bei Pilatus an: Dieser Mann sei ein politischer Aktivist und bezeichne sich außerdem als König der Juden. Pilatus musste reagieren. König der Juden – das wäre Hochverrat. Jedweder Anspruch auf die Königswürde war eine Rebellion gegen den Kaiser. Darauf stand die Todesstrafe.

»Die Darstellung Christi vor dem Volk«, Ecce homo
    (Mischtechnik auf Eichenholz
von Hieronymus Bosch, um 1500)
    AKG

Welche Rolle spielte Pontius Pilatus im wohl folgenreichsten Prozess der Weltgeschichte? Hielt er Jesus für unschuldig? Wollte er ihn, wie die Evangelisten schrieben, sogar retten? Oder war es für Pilatus lediglich ein Routineverfahren gegen einen Möchtegern-Messias, der für Aufruhr und Unruhe sorgte? War es sogar, wie manche Gläubige annehmen, göttliche Vorsehung und Fügung, die den treuen Sachwalter römischer Interessen dazu ausersehen hatte, Geburtshelfer einer neuen Religion zu sein?
    Jedenfalls wurde der römische Verwaltungsbeamte zum traurigen Helden wider Willen, der es sogar ins Glaubensbekenntnis schaffte: »Gelitten unter Pontius Pilatus«, so sagen es heute in vielen Sprachen Abermillionen Christen auf. Die Quellenlage zum Prozess ist dürftig. Sämtliche Aufzeichnungen sind später entstanden und schildern ein Verfahren, das modernen juristischen Anforderungen keinesfalls genügen würde. Die positiven Darstellungen des Richters in den Evangelien sind durch andere Quellen nicht belegt. Und auch viele Legenden und Interpretationen späterer Autoren lassen die Absicht erkennen, den Juden die Hauptschuld am Tod Christi zuzuschieben.
    Nüchtern gesehen ist das Todesurteil sicher ein schwerer Justizirrtum. Und doch beginnt nach der Kreuzigung der Siegeszug des Christentums im Römischen Reich. Eindringlich beschreiben die Evangelisten, wie Jesus in die Fänge der Jerusalemer Priesterschaft gerät, die ihn der Gotteslästerung bezichtigt und ihn dann an die Römer ausliefert. Marlis Gielen, Professorin für Neutestamentliche Bibelwissenschaft an der Universität Salzburg, hält es für historisch wahrscheinlich, dass die jüdische Tempel-Elite Jesus an Pilatus überstellte, mit dem Vorwurf, er sei ein politischer Unruhestifter. Pilatus interessierte sich zwar nicht für religiöse Auseinandersetzungen, er musste aber jeden Aufruhr vermeiden und sich im Zweifel auf die Seite des Hohen Rates schlagen. Wenn Jesus sich mit Priestern und Glaubenslehrern angelegt hatte und beanspruchte, König der Juden zu sein, war sein Leben verwirkt. Ihm musste noch vor dem Pessachfest der Prozess gemacht werden. Und schnell sollte es gehen, denn der Sabbat stand bevor, und an diesem Feiertag durfte niemand hingerichtet werden.
    Auch wenn Kaiphas sein Urteil bereits gefällt haben sollte, konnte nur der Statthalter als oberster Richter die Todesstrafe verhängen, das religionsgesetzliche Verfahren musste also in ein politisches umgewandelt werden. Es wird öffentlich stattgefunden haben, vermutlich vor dem herodianischen Palast, in dem Pilatus während seines Jerusalem-Aufenthalts residierte. Auf die Frage des Statthalters: »Bist du der König der Juden?«, antwortete der Angeklagte nach der Überlieferung selbstbewusst: »Du sagst es.« So steht es bei Markus Kapitel 15, Vers 2. Belege für diesen Dialog außerhalb der Evangelien gibt es nicht.
    Da Jesus im Prozess die Anklage nicht widerlegen konnte oder wollte, war sein Schicksal besiegelt: Zunächst öffentliches Auspeitschen mit einer Geißel, dann umgehende Kreuzigung.
    War es ein faires Verfahren? Was auffällt, ist das Tempo, mit dem der Delinquent hingerichtet wurde. Die Zeit drängte, viele Pilger befanden sich in der heiligen Stadt, die sich an hohen Festtagen in ein Pulverfass verwandelte. Deshalb machte Pilatus kurzen Prozess, zumal Jesus kein römisches Bürgerrecht beanspruchen konnte, ja nicht einmal aus der Provinz Judäa stammte, sondern aus

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