Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch
Schaden genommen. Blutüberströmt und besudelt mit Erbrochenem wurde Jesus dann einer Marter zugeführt, die nur für ihn ersonnen worden war: Die römischen Soldaten setzten ihm eine geflochtene Krone aus Gemeinem Stechdorn auf und schlugen mit einem Stock auf seinen Kopf ein.
Diese Folter sei bisher als bloße Schmähung des »Königs der Juden« unterschätzt worden, meint Zugibe. Tatsächlich jedoch habe die sadistische Krönung Jesus seinem Ende deutlich näher gebracht. Schmerzen wie nach der Behandlung mit einem glühenden Schürhaken seien die Folge gewesen. Vermutlich litt Jesus danach an einer sogenannten Trigeminusneuralgie – einer überaus quälenden Reizung der Gesichtsnerven, die Betroffenen das Leben zur Hölle macht. Hinzu kam ein traumatischer Schock durch die Auspeitschung und ein hypovolämischer Schock, verursacht durch erheblichen Blutverlust.
So rekonstruieren Experten
die Kreuzigung eines Mannes,
dessen Fersen wie die des Jehohanan
seitlich am Balken festgenagelt sind.
Der geschundene Heiland war bereits dem Tode nah, als seine Peiniger ihn am Kreuz fixierten. Die Römer nutzten wohl dicke Eisennägel von zwölf Zentimeter Länge. Wurden sie durch die Fersen getrieben, rissen zahlreiche Nervenbündel entzwei. »Jesus erlitt einen der schlimmsten Schmerzzustände, die der Menschheit bekannt sind«, folgert Zugibe. Soldaten insbesondere des Ersten und Zweiten Weltkriegs zogen sich durch Schrapnelle und Granatsplitter ähnliche Wunden zu, deren Pein auch durch starke Medikamente kaum zu lindern war. Bei jeder kleinsten Bewegung am Kreuz raste der Schmerz wie ein Stromstoß durch den Körper, so Zugibe. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit trat der erlösende Tod ein. »Wenn ich für Jesus einen Totenschein ausstellen müsste«, sagt der Arzt, »dann sähe der so aus: ›Todesursache: Herz- und Atemstillstand aufgrund von hypovolämischem und traumatischem Schock nach Kreuzigung‹.«
TEIL III
ALLTAG IN PALÄSTINA
Die Trümmer von Galiläa
Die Archäologie zeigt uns, was Jesus sah, wenn er durch die Lande zog: blühende Dörfer und reiche Kleinstädte, die unter römischer Herrschaft ihre jüdisch-hellenistischen Traditionen pflegten.
Von Angelika Franz
Als ein Jahr nach dem Sechstagekrieg 1967 die Bagger anrückten, um Häuserfundamente auf dem von Israel eroberten Hügel Givat Hamivtar in Ostjerusalem auszuheben, stießen sie auf Gräber. An sich nichts Ungewöhnliches in einem Boden, der seit mehr als 5000 Jahren besiedelt ist. Normalerweise werden die Knochen in solchen Fällen herausgeholt, archäologisch untersucht und woanders wieder in die Erde hineingesetzt – ohne viel Aufhebens darum zu machen. Doch diesmal waren die Bagger zwischen den Resten der jordanischen Schießanlagen auf etwas gestoßen, das sich nicht so routinemäßig erledigen ließ – es war eine steinerne Knochenkiste, ein Ossuarium. Darin lagen Knochen einer Frau, eines Kindes und von »Jehohanan, Sohn des HGQWL «.
Jehohanan war im Jahr 7 nach Christus als junger Mann keines natürlichen Todes gestorben. In seinem rechten Fersenknochen steckte ein 11,5 Zentimeter langer Eisennagel, darunter noch die Reste eines Olivenstammes: Jehohanan hatte sein Leben am Kreuz beendet. Die Ferse war eine Sensation. Zuvor gab es keine archäologischen Funde von Gekreuzigten. In der Regel durften die Hingerichteten nicht bestattet werden, ihre Körper endeten zumeist als Tierfutter oder auf den Müllkippen der Stadt. Auch die Balken blieben nicht stehen – Holz war ein rares Gut und wurde möglichst oft recycelt. Und die Nägel blieben schon mal gar nicht übrig. Sie galten als Heilmittel für allerlei Krankheiten. Der römische Gelehrte Plinius (23 bis 79 n. Chr.) etwa empfahl einen in Wolle gewickelten Kreuzigungsnagel als Arznei gegen Fieber. Kein Wunder also, dass Jehohanans Fersenbein bis heute der einzige archäologische Nachweis einer Kreuzigung ist, den wir kennen. Entsprechend dem israelischen Gesetz wurden auch Jehohanans Knochen wieder zur Ruhe gebettet, nachdem er penibel vermessen, fotografiert und analysiert worden war. Die Daten halfen den Anthropologen, den Tod am Kreuz besser zu verstehen. Sie lieferten die Erkenntnis, dass er nicht mit gekreuzten Beinen, sondern mit je einer Ferse links und rechts seitlich an den Balken genagelt starb.
Die Archäologie soll uns die historische Figur Jesus und seine Zeit nahebringen. Die Versuchung ist deshalb groß, mit Spaten und Pinsel nach dem Heiland zu suchen. Im
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