Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch
ergeben. Nicht einmal Josephs philosophischer Einspruch konnte sie umstimmen. So schlug Joseph vor, die Todes-Reihenfolge auszulosen – und blieb dabei, laut seiner Erzählung, wie durch ein Wunder als einer der beiden Letzten lebend übrig. Vespasian ließ den erst 30-jährigen Widersacher vor sich bringen. Schon geschah das nächste Wunder: Aus dem Rebellen wurde ein Prophet. Zu Kaiser Nero wolle der Feldherr ihn schicken? »Wozu denn? Werden denn die Nachfolger Neros bis zu deinem Regierungsantritt lange an der Herrschaft bleiben? Du, Vespasian, wirst Kaiser und Alleinherrscher, sowohl du wie dieser dein Sohn.«
Das war die Wende in Josephs Leben: Seine Weissagung ging in Erfüllung, und damit war der Aufstandsführer zum Günstling des flavischen Kaiserhauses avanciert. Fortan erklärte er den Besatzern Judäa mit seinen Stämmen und Traditionen. Er musste mit ansehen, wie Kaiser Vespasians Sohn Titus im September 70 Jerusalem einnahm. Bald darauf fuhr er nach Italien, wo er unter dem Namen Josephus Flavius römischer Bürger wurde. Dank einer kaiserlichen Pension samt Ländereien in Judäa fing er ein neues Leben an: als Historiker seiner Heimat und seines schon damals im Mittelmeerraum verbreiteten Volkes, der Juden.
Die allerdings hatten ihren übergelaufenen Landsmann gründlich satt. So eifrig Josephus beteuerte, er habe stets zum Wohl der Juden gehandelt, so konsequent ignorierten sie seine detaillierte, oft spannend erzählte Darstellung des »Jüdischen Krieges«, in der auch der Autor selbst auftrat – analog zu Cäsars »Bellum Gallicum« in der dritten Person und im günstigsten Licht. Auch von seiner länglichen Darstellung der »Jüdischen Altertümer«, eine Erzählung der Weltgeschichte auf Grundlage der Geschichtsbücher des alten Israel und weiterer Quellen, wollten sie nichts wissen.
Joseph verfasst die
»Jüdischen Altertümer«
(Buchillustration,
12. Jahrhundert)
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Ruhm erntete Josephus erst bei Leuten, deren kommende Rolle er nicht erahnt hatte und schwerlich begrüßt hätte: den Christen. Hauptsächlich lag das an einem kleinen Abschnitt der »Jüdischen Altertümer«, der vom römischen Statthalter Pontius Pilatus handelt und dann erzählt:
Um diese Zeit lebte Jesus, ein weiser Mensch, wenn man ihn überhaupt einen Menschen nennen darf. Er war nämlich der Vollbringer ganz unglaublicher Taten und der Lehrer aller Menschen, die mit Freuden die Wahrheit aufnahmen … Er war der Christus. Und obgleich ihn Pilatus auf Betreiben der Vornehmsten unseres Volkes zum Kreuzestod verurteilte, wurden doch seine früheren Anhänger ihm nicht untreu. Denn er erschien ihnen am dritten Tage wieder lebend … Und noch bis auf den heutigen Tag besteht das Volk der Christen, die sich nach ihm nennen, fort.
So weitblickend dieses »Testimonium Flavianum« (»Flavianisches Zeugnis«) klingt: Leider fällt die Bemerkung ziemlich aus dem Rahmen des Werkes. Seit langem sind Historiker deshalb mehrheitlich überzeugt, dass der Passus so nicht von Josephus stammen kann. Offenbar hat ein wohlmeinender christlicher Abschreiber ihn schon im Altertum umgearbeitet oder komplett eingefügt. Vielleicht war er als Anlehnung gedacht an einen späteren, erheblich authentischer klingenden Halbsatz – darin ist zumindest einmal die Rede vom »Bruder des Jesus, der Christus genannt wird, mit Namen Jakobus«. Nirgendwo sonst hat Josephus, der acht verschiedene andere Männer namens Jesus kennt, den Gekreuzigten und seine Geschichte erwähnt.
Aber wozu hätte er auch ausgiebig ein Sektierergrüppchen würdigen sollen, das gegen Ende des ersten Jahrhunderts auf dem Markt der Religionen wenig erfolgreich wirkte? Josephus war als Geschichtsschreiber angetreten, die Gebildeten des Flavierreiches vom ehrwürdigen Altertum der jüdischen Kultur zu überzeugen; er hatte dafür sogar, wie er zugab, sein nicht sehr elegantes Griechisch eigens von Experten aufpolieren lassen. Seiner Mission war er so sicher, dass er noch ein autobiografisches Buch nachschob, in dem er einen Konkurrenten namens Justus von Tiberias als Verleumder niedermachte.
Hier finden sich die einzigen Informationen über Josephus’ Jugend: Er stamme aus vornehmer jüdischer Priesterfamilie; unter den drei großen Glaubensgruppen der Essener, Sadduzäer und Pharisäer habe er sich nach genauer Prüfung und einem dreijährigen Asketendasein in der Wüste den pragmatischeren Pharisäern zugewandt. Mit 26 Jahren sei er nach Rom gereist, wo er
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