Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch
Sekte rund 350 Jahre später die antike Welt beherrschen und zur Staatsreligion des Römischen Reichs erhoben werden würde. Lediglich im heutigen Palästina und in Jerusalem existierten christliche Gemeinden. Gleichwohl barg die monotheistische Religion, die mit ihrer Verheißung allen Erlösung versprach, eine große Anziehungskraft. Eine seriöse und präzise Geschichtsschreibung ist für die ersten Jahrzehnte des Christentums nicht zu leisten. Die einzige Quelle für die Zeit nach dem Tod Christi, die Apostelgeschichte, stammt laut Bibel aus der Feder des Evangelisten Lukas. Doch sie wurde wohl erst etwa im Jahr 90 aus verschiedenen Quellen zusammengeschrieben. Der Verfasser verzichtete auch fast vollständig auf Zeitangaben. Und manches in der Apostelgeschichte ist in sich widersprüchlich oder steht im Gegensatz zu Teilen der Evangelien.
Der Apostelgeschichte zufolge erschien Jesus nach seiner Auferstehung seinen Jüngern, die nun Apostel genannt wurden, und gebot ihnen, in Jerusalem zu bleiben. In der Hauptstadt Judäas, die damals gut 40000 Einwohner hatte, war Petrus der wichtigste der Apostel. An Pfingsten traten die zwölf gemeinsam auf, und Petrus verlangte von allen, sich taufen zu lassen. »Und an diesem Tage wurden hinzugefügt etwa dreitausend Menschen«, heißt es in der Apostelgeschichte. »Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet.« Petrus und die Jünger waren die bei allen Christen anerkannten symbolischen Gründerfiguren. Sie gingen wieder auf Wanderschaft nach Galiläa, hielten aber den Kontakt zu den Christen in Jerusalem. So wie einst Jesus predigten sie das Evangelium. Dabei folgten sie dem Armutsgebot des Messias, der gesagt hatte: »Tragt keinen Geldbeutel bei euch, keine Tasche und keine Schuhe, und grüßt niemanden.«
Irdischer Besitz war unter den ersten Christen offenbar von geringer Bedeutung. In der Apostelgeschichte heißt es: »Die Menge der Gläubigen aber war ein Herz und eine Seele; auch nicht einer sagte von seinen Gütern, dass sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemeinsam.« Weiter heißt es über die Solidarität zwischen den Brüdern und Schwestern in den ersten Gemeinden: »Es war auch keiner unter ihnen, der Mangel hatte; denn wer von ihnen Äcker oder Häuser besaß, verkaufte sie und brachte das Geld für das Verkaufte und legte es den Aposteln zu Füßen; und man gab einem jeden, was er nötig hatte.« Dieser geradezu kommunistischen Einstellung der ersten Christen kam der Glaube entgegen, dass das Ende der Welt und das Jüngste Gericht ohnehin nah seien; wer wollte da noch irdische Güter ansammeln.
Die meisten Theologen gehen allerdings davon aus, dass diese Schilderungen, nach denen die Urchristen mit kollektivem Eigentum in harmonischer Gemeinschaft lebten, idealisiert sind. Die Anfänge des Christentums werden so als Goldenes Zeitalter überhöht, dem bald im Zuge der Institutionalisierung der Kirche der Niedergang folgte. Die Berichte über die Verkäufe von Land durch Gemeindemitglieder zeigen auch, dass der neue Glaube nicht nur eine Religion der Armen und Unterdrückten, der Sklaven und Frauen war, sondern in allen Klassen und Schichten der Gesellschaft Anhänger fand. Wie sie ihre Religion praktizierten, lässt sich der Apostelgeschichte entnehmen: »Und sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel und brachen das Brot hier und dort in den Häusern, hielten die Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen und lobten Gott und fanden Wohlwollen beim ganzen Volk.«
Neben der Taufe neuer Anhänger, die vorzugsweise in einem fließenden Gewässer vollzogen wurde, zählte das Abendmahl zu den wichtigsten Riten der Christen. Wie auch bei den Juden sprach der Haushaltsvorstand ein Gebet und brach das Brot. Die Christen erhoben allerdings das gemeinsame Mahl zum Sakrament.
Ihre Riten zelebrierten die Gemeindemitglieder in den Privathäusern von Brüdern und Schwestern, wobei am Abendmahl nur Getaufte teilnehmen durften, der Gottesdienst aber allen offenstand, die sich für die neue Religion interessierten.
Es ist davon auszugehen, dass die ersten Christen Ostern als ihr nun wichtigstes Fest feierten – allerdings nach dem jüdischen Kalender in der Pessachwoche. Sie trafen sich auch häufig, wie alle Juden, die nicht an Christus glaubten, im Tempel in Jerusalem oder in einer Synagoge. Darüber hinaus hielten sie an den jüdischen Geboten der Beschneidung und am Sabbat fest.
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