Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch
Schnellstraße von Adana nach Mersin. Inmitten dieser Baumwollplantagen liegt die Air Base Incirlik, ein großer türkisch-amerikanischer Militärflughafen, der für die U. S. Air Force in den Irak-Kriegen eine Schlüsselrolle gespielt hat. Die katholische Kirche hat in ihrem Paulusjahr 2008/9, das Papst Benedikt XVI . anlässlich des vermuteten 2000. Geburtstags des Apostels ausrief, eine Kirche in Tarsus zur Pauluskirche erklärt und zu einer Wallfahrtsstätte gemacht. Das bescheidene Gotteshaus aus dem 19. Jahrhundert liegt etwas versteckt wenige Schritte hinter der Hauptmoschee von Tarsus und ist offiziell, wie die Hagia Sophia in Istanbul, ein Museum.
Nach einem längeren Disput mit der türkischen Regierung, an dem der deutsche Kardinal Joachim Meisner führend beteiligt war, konnte der Vatikan aber erreichen, dass die Kirche für Gottesdienste freigegeben wurde. »Das war eine sehr gute Entscheidung«, freut sich der staatliche Museumsaufseher, »jetzt kommen viel mehr Touristen als früher.« Mit der Kirche und einem angeblichen Paulus-Brunnen am Ort des vermeintlichen Geburtshauses von Paulus hat Tarsus nun zwei Orte, die für Religionstouristen zu Pflichtzielen geworden sind.
Ausführlich wird in der Apostelgeschichte berichtet, wie der Junge mit dem hebräischen Namen Schaul in einer relativ wohlhabenden jüdischen Familie in Tarsus aufwuchs, die ihm auch ein Studium in Jerusalem ermöglichte. Wie schon sein Vater besaß auch Schaul das römische Bürgerrecht. Während seines Aufenthalts in der heiligen Stadt schloss Schaul (lateinisch: Saulus) sich den strenggläubigen Pharisäern an, einer jüdischen Laienorganisation, die eifrig über die Einhaltung der Religionsgesetze wachte. Und Saulus soll bald zu den Eifrigsten gehört haben, einer von denen, die mit aller Leidenschaft gegen religiöse Laxheit vorgingen und sich nicht scheuten, auch kleinste Verstöße anzuprangern. Schon erregten die ersten Judenchristen sein Missfallen. Er beschuldigte sie vor den obersten Gelehrten als Abweichler und forderte ihren Ausschluss aus der Synagoge. Angeblich hat Saulus sich in Jerusalem vom Hohepriester die Ermächtigung geholt, auch außerhalb Judäas, in Syrien, gegen Judenchristen vorgehen zu können.
Ich bin oft in Todesnöten gewesen. Von den Juden habe ich fünfmal erhalten vierzig Geißelhiebe weniger einen; ich bin dreimal mit Stöcken geschlagen, einmal gesteinigt worden; dreimal habe ich Schiffbruch erlitten, einen Tag und eine Nacht trieb ich auf dem tiefen Meer. Ich bin oft gereist, ich bin in Gefahr gewesen durch Flüsse, in Gefahr unter Räubern, in Gefahr unter Juden, in Gefahr unter Heiden, in Gefahr in Städten, in Gefahr in Wüsten, in Gefahr auf dem Meer, in Gefahr unter falschen Brüdern; in Mühe und Arbeit, in viel Wachen, in Hunger und Durst, in viel Fasten, in Frost und Blöße; und außer all dem noch das, was täglich auf mich einstürmt, und die Sorge für alle Gemeinden.
2 KOR 11
Doch auf dem Weg zur syrischen Metropole passierte es dann. »Unterwegs aber, als er sich bereits Damaskus näherte, geschah es, dass ihn plötzlich ein Licht vom Himmel umstrahlte. Er stürzte zu Boden und hörte, wie eine Stimme zu ihm sagte: Saul, Saul, warum verfolgst du mich? Er antwortete: Wer bist du, Herr? Dieser sagte: Ich bin Jesus, den du verfolgst. Steh auf und geh in die Stadt; dort wird dir gesagt werden, was du tun sollst.« So weit die Apostelgeschichte zur Vision des Saulus, der sich anschließend nur noch mit seinem römischen Namen Paulus anreden ließ.
Bei Paulus selbst findet der weltgeschichtlich so bedeutsame Sinneswandel nur äußerst knappe Erwähnung. Im ersten Brief an die Korinther spricht er von der »Gnade Gottes«, durch die »ich bin, was ich bin« (1. Korintherbrief 15, Vers 10). Immer wieder verweist er jedoch darauf, dass er von Jesus Christus berufen wurde, dass er seinen Auftrag zur Verkündung des Evangeliums von Jesus selbst bekommen habe und diesem Befehl unbedingt folgen müsse. »Denn dass ich das Evangelium predige, dessen darf ich mich nicht rühmen; denn ich muss es tun«, schreibt er an die Gemeinde im griechischen Korinth. »Und wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht predigte!« (1 Kor 9,16). Über die Person Paulus wissen wir wenig. Er war ein körperlich gebrechlicher Mann, der sein Leben mit aller Kraft der Verkündung des Evangeliums gewidmet hat. Und sicher war er ein Getriebener, der zunächst leidenschaftlich die Urchristen verfolgte, um danach umso
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