Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch
»Judenchristen«, wie sie heute genannt werden, stellten eine jüdische Reformbewegung dar. Sie begriffen ihren Glauben an Jesus Christus nicht als Widerspruch zum Judentum, sondern als seine Weiterentwicklung. Dementsprechend verstanden sie sich als echte Juden, als Erwählte unter den Erwählten. Also leisteten sie zunächst auch Widerstand gegen die Verbreitung des Evangeliums über das Judentum hinaus. Unter den Judenchristen gab es die Gruppe der Hellenisten, die nicht hebräisch oder aramäisch, sondern griechisch sprachen. Sie hatten in den griechisch geprägten Städten rund um das östliche Mittelmeer gelebt und waren nach Jerusalem in die Stadt des Tempels zurückgekehrt. Weitere Hellenisten waren zum Pessachfest nach Jerusalem gepilgert, hatten die letzten Tage Jesu erlebt und die Kunde von dessen Tod und Auferstehung in ihre Heimatstädte gebracht.
Der bekannteste dieser griechisch Gebildeten war Stephanus, der erste Märtyrer. Gleichwohl berichtet Lukas in der Apostelgeschichte auch über einen Mann namens Philippus als ausgesprochen begabten Prediger. Er war, wie Stephanus, einer von sieben Diakonen, die den karitativen Dienst in der Gemeinde organisierten. Die Hellenisten übten besonders scharfe Kritik an den Autoritäten des Judentums. Vor allem aber entwickelten sie das Erfolgsrezept, mit welchem das Christentum zur Weltreligion aufsteigen konnte: die Bekehrung von Nichtjuden beziehungsweise Heiden. Von denen, die sich als Christen taufen ließen, erwarteten sie nicht mehr, dass sie sich dem von Mose empfangenen Gesetz unterstellten – vor allem keine Beschneidung, die bei erwachsenen Männern einen durchaus riskanten Eingriff darstellte. Auch die strengen jüdischen Speiseregeln mussten die neuen Christen nicht unbedingt beachten.
Mit diesem Übergang zur sogenannten Heidenmission war die Grenze der kleinen Welt des Judentums überwunden und die Zahl der potentiellen neuen Anhänger um ein Vielfaches vergrößert. Jetzt konnten auch Zeitgenossen, die an die griechischen Götter, die römischen, persischen oder andere Gottheiten glaubten, sich zu Christus bekennen, ohne die ihnen fremden Regeln und Riten des Judentums zu übernehmen. Eine besonders große Gemeinde von Heidenchristen entwickelte sich in Antiochia, wo die Anhänger des Messias erstmalig »christianoi«, Christen, genannt wurden. Auch wenn allen Christen gemeinsam war, dass sie sich als Erwählte sahen, schwelte der Konflikt um das Verhältnis zum Judentum in der jungen Religionsgemeinschaft. Es ist nicht klar, wann genau (wahrscheinlich um das Jahr 49) sich die führenden Vertreter der Christen in Jerusalem trafen. Auf dem »Apostelkonzil« versuchten sie zu einer Übereinkunft zu gelangen, was von den Heiden zu verlangen sei, die Christen werden wollten.
Zum Apostelkonzil kamen nicht nur die Jünger Jesu, sondern auch die Gemeindeältesten und andere Interessierte; Paulus und der aus Zypern stammende Wanderprediger Barnabas, die zusammen Heiden missionierten, waren angereist. Etliche strenggläubige Pharisäer, die Christen geworden waren, beharrten jedoch auf den hergebrachten Riten des Judentums: »Man muss sie beschneiden und ihnen gebieten, das Gesetz des Mose zu halten.« Petrus hielt dagegen und sagte: Gott »gab ihnen den Heiligen Geist wie auch uns und hat keinen Unterschied gemacht zwischen uns und ihnen, nachdem er ihre Herzen gereinigt hatte durch den Glauben«. Paulus und Barnabas priesen ihrerseits die erfolgreiche Mission außerhalb des Judentums – ihre Linie setzte sich durch. Schließlich beschloss das Konzil, dass die Heiden keine weiteren Bedingungen erfüllen müssten, als sich vom Götzenopfer, von Blut und Ersticktem sowie von Unzucht fernzuhalten.
Die Bedingungen für den Siegeszug des Christentums waren geschaffen. Und alle Wege führten damals nach Rom. Es ist nicht klar, wie und wann: Auf jeden Fall fand die messianische Lehre aus Jerusalem ziemlich schnell auch Anhänger im damaligen Zentrum der Welt. Der Historiker Tacitus beschreibt in seinen Annalen das Vordringen dieses »verderblichen Aberglaubens« nach Rom, »wo alles Scheußliche und Schandbare von überall her zusammenströmt und Anhang findet«. Allerdings sind Christen in Rom bald einer brutalen Verfolgung ausgesetzt – verantwortlich dafür war der megalomane Kaiser Nero. Nachdem 10 der 14 Innenstadtbezirke Roms im Jahr 64 einer furchtbaren Feuersbrunst zum Opfer gefallen waren, versuchte Nero das Gerücht aus der Welt zu schaffen, er
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