Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch
mir ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet als sie alle; nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist.
1 KOR 15
Doch Paulus war nicht der Mann, der sich in aller Ruhe erholen konnte. Er hatte eine Mission. Durch eine Vision, in der laut Apostelgeschichte Jesus zu ihm sprach, war er von einem berüchtigten Christenverfolger zu einem überzeugten Diener des Auferstandenen geworden. Anders als die frühen Christen in Jerusalem, die zunächst ausschließlich andere Juden für die neue Glaubensbewegung zu gewinnen suchten, begann Paulus, auch unter Nichtjuden zu missionieren. Mit diesem für die Urchristen revolutionären Schritt wurde er zu einer der zentralen Figuren des frühen Christentums. Ohne ihn hätte der neue Glaube vermutlich nie die engen Grenzen einer jüdischen Erneuerungsbewegung gesprengt. Der evangelische Theologe Jürgen Becker nennt ihn in seiner Biografie »Paulus. Der Apostel der Völker« deshalb die »Symbolgestalt des Heidenchristentums schlechthin«.
Im Gegensatz zu allen anderen frühchristlichen Gemeindeführern haben wir von Paulus schriftliche Zeugnisse, die Auskunft über sein theologisches Denken geben und auch einige wenige biografische Hinweise enthalten. Die 14 Paulusbriefe (die meisten Gelehrten gehen davon aus, dass sieben Briefe von ihm und die anderen sieben Briefe von seinen Schülern oder Mitarbeitern geschrieben wurden) bilden nach den Evangelien das Kernstück des Neuen Testaments und sind die ältesten schriftlichen Zeugnisse des Christentums überhaupt. Alle anderen Schriften des Neuen Testaments, auch die vier Evangelien, sind später entstanden. Aus den Paulusbriefen und der Apostelgeschichte können wir uns ein gutes Bild davon machen, wie mühsam und gefährlich die Missionsarbeit des »Apostels der Völker« war.
Schon der Auftakt im pisidischen Antiochia, wo Paulus auf der ersten seiner drei großen Missionsreisen die erste Gemeinde gründete, nimmt alle späteren Konflikte exemplarisch vorweg. Die Apostelgeschichte geht ausführlich darauf ein:
Paulus war noch nicht lange in der Stadt, da begab er sich an einem Sabbat in die Synagoge, um dort zu sprechen. Zunächst bedachten die versammelten Juden ihn, den Gast der Sergius-Familie, mit Beifall. Doch die Begeisterung schlug schnell in tiefes Missfallen um. Was Paulus vortrug, passte den meisten frommen Juden gar nicht. Die Rede von Jesus Christus, dem auferstandenen Messias, der die Menschheit durch seinen Tod am Kreuz erlöst haben soll, klang in ihren Ohren ausgesprochen ketzerisch.
Doch es fanden sich auch einige, die sich von Paulus begeistern ließen. Vor allem zog der Apostel Menschen an, die mit der monotheistischen Botschaft vom einen Gott sympathisierten; sie besuchten gelegentlich die Synagoge, ohne sich jedoch beschneiden zu lassen und dem Judentum damit formell beigetreten zu sein. Diese sogenannten Gottesfürchtigen, erläutert der Theologe Gebhard Heyder in seiner 1939 erschienenen »Paulus-Synopse«, bildeten den Übergang zu den Heiden, an die sich Paulus oft wandte, wenn er von den Juden abgewiesen worden war. So auch in Antiochia in Pisidien. Nachdem die Juden seine Botschaft mehrheitlich abgelehnt hatten, traf er sich mit seinen Anhängern nicht mehr in der Synagoge, sondern in einem größeren privaten Haus.
Für die Juden der Stadt war die Gründung der ersten paulinischen Gemeinde ein Ärgernis. Sie wollten Paulus und Barnabas loswerden und beklagten sich bei der römischen Obrigkeit über die Eindringlinge. Von den Juden bedrängt, verließen die beiden Apostel wohl nach einigen Monaten die Stadt. Zum äußeren Druck kam ein inneres Motiv: Schließlich wollten sie auch an anderen Orten das Evangelium verkünden. Doch Paulus sollte die Juden von Pisidien bald noch einmal wiedersehen.
Gemäß der Apostelgeschichte wurde Paulus in Tarsus, möglicherweise im Jahr 8 oder 9 n. Chr., geboren. Anders als Antiochia in Pisidien existiert Tarsus auch heute noch, allerdings hat es seinen Rang als wichtigste Stadt der historischen Landschaft Kilikien längst verloren. Durch Verlandung ist Tarsus vom Meer ins Landesinnere gerückt und liegt heute eingeklemmt zwischen Adana, der fünftgrößten türkischen Metropole, auf der einen und Mersin, der boomenden Hafenstadt des östlichen Mittelmeers, auf der anderen Seite.
Die kilikische Küstenebene ist heute das Zentrum des Baumwollanbaus in der Türkei. Endlos ziehen sich die Felder entlang einer vierspurigen
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