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Jesus von Texas

Jesus von Texas

Titel: Jesus von Texas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DBC Pierre
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mein Gesicht in den Händen vergraben, zitternd vor Kummer, und ich bete um einen Hoffnungsschimmer, um irgendeine Ablenkung. Und dann, ich schwör's beim Grab meines Vaters, setzt im Bus Fahrstuhlmusik ein. Zuerst nur ein paar schmachtende Geigen.
    Sailing, take me away ...
    Es ist heller Morgen, als wir durch die Straßen von San Antone rollen, aber noch zu früh, um was zu unternehmen. Ich bin hungrig wie ein entlaufener Hund; meine Augen sind krümelig vom Salz. Bis acht Uhr lungere ich bei den Toiletten der Busstation rum, dann such ich mir ein Telefon, um bei Taylor Figueroas Eltern anzurufen. Ich fühl mich ausgehöhlt, als ob jemand meinen Lebenssaft abgezapft hat. Die Logik der Stunde ist folgende: Falls ich Taylors Nummer kriege, was der erste Schritt auf dem Weg zu meinem Traum wäre, wird mich das so sehr aufpeitschen, daß ich es vielleicht sogar schaffe, bei Mom anzurufen und ihr alles zu erklären. Und falls nicht, dann hab ich so wenig zu verlieren, daß ich trotzdem anrufen kann. Dann ist ohnehin alles egal, ob ich aufgepeitscht bin oder nicht.
    Während ich die Nummer wähle, kommt mir ein Gedanke: Was, wenn Mom ganz plötzlich die beste Freundin der Figueroas ist und gerade bei ihnen im Wohnzimmer sitzt und Kaffee trinkt? Beziehungsweise heult? Ich meine, ihr kennt ja Martirio. Natürlich ist das Quatsch - meine Mom hat in ihrem ganzen Leben noch keinen Fuß ins Haus der Figueroas gesetzt. Aber trotzdem, ihr kennt ja Martirio. Es klingelt.
    »Peaches, hallo?« meldet sich Taylors Mom mit einer coolen, tiefen Stimme.
    »Mrs. Figueroa? Hallo, ich bin ein Freund von Taylor - ich hab ihre Nummer verloren und wollte mal fragen, ob Sie mir nicht weiterhelfen können.«
    »Wer ist denn da?«
    »Äh - ich bin bloß ein alter Schulkumpel, also äh, aus der Schule.«
    »Ja, aber wer?«
    »Äh, Entschuldigung - hier ist Danny Naylor.« Scheiße, großer Fehler. Ihre Stimme wird sofort total entspannt und vertraulich.
    »O hi, Dan, ich hab dich gar nicht erkannt - wie ist es denn dort oben an der Texas A&M?«
    »O super, echt super, ich find's richtig gut.«
    »Ich hab deine Mom neulich beim New-Life-Markt getroffen - sie meinte, du kommst zum Bluebonnet-Picknick nach Hause?«
    »Klar, Sie kennen mich doch.« Schweiß läuft mir den Rücken runter, und es flimmert mir vor den Augen, als hätte ich gerade vierzig Tassen Kaffee in mich hineingekippt.
    »Supi«, sagt sie. »Morgen ist Ausschußsitzung, da seh ich deine Mom. Ich sag ihr, daß du angerufen hast und daß es dir gut geht.«
    »O äh, prima - vielen Dank.«
    »Und zufällig weiß ich, daß Tay sich freuen wird, von dir zu hören - bleib kurz dran, Dan, ich hol ihre Nummer.«
    Was ist das denn schon wieder? »Zufällig weiß ich, daß Tay sich freuen wird«? Meine Wunde beginnt zu pochen. Typisch Naylor, daß er sich in meinen Kram mischen muß. In seiner gesamten Schulzeit hat er vielleicht einen guten Witz gerissen. Am liebsten würde ich sagen: »Ja, ich will ihr unbedingt das Neueste von meinem Genitalkrebs erzählen«, irgendwas in der Art. Scheiß Naylor, Mann.
    »So, jetzt hab ich sie. Tay ist immer noch an der Um in Houston, und ich weiß, daß sie heute mittag verabredet ist, da kannst du sie dann erwischen, falls sie's jetzt abgestellt hat.«
    Ich trag die Nummer unter »T« und unter »F« ein, für den Fall, daß ich einen Gedächtnisverlust erleide, und zusätzlich schreib ich sie noch quer über den Umschlag meines Adreßbuchs. »Vielen Dank, Mrs. Figueroa - bis bald, und viele Grüße an Mom.«
    »Aber klar, Dan - wir sehen uns dann beim Picknick.«
    Ich hänge ein und schüttle den Kopf - bescheuerter geht's ja wohl nicht. Die Vorstellung, daß Danny beim Picknick ankommt und fragt: »Welcher Anruf?« Oder daß sich herausstellt, er ist vor einer Woche bei einem Barndance-Unfall ums Leben gekommen, oder keine Ahnung was. Ich hab's mal wieder auf die Spitze getrieben, ganz ehrlich. Ich meine, es gibt bestimmt jede Menge richtig abgedrehter Gangsta-Typen, echt schwere Fälle und so, aber die greifen mit Sicherheit nicht ständig in irgendeinen blöden Schleimbatzen. Adult Hitler zum Beispiel - ein richtig mieses Stück Scheiße, aber ich wette, nach ihm hat nie jemand beim Picknick Ausschau gehalten, weil er sich am Telefon als Danny Naylor ausgegeben hat.
    Mit Taylors Nummer in meinem Adreßbuch sehe ich aus, als ob ich ein Aufmerksamkeitsdefizit hab oder wie das heißt, wenn man schlagartig erstarrt und zwanghaft Pantomimen-Nummern

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