Jesus von Texas
aufführt. Ich überleg mir einen Gesichtsausdruck, um das zu vertuschen, so ein Stirnrunzeln, das mich aussehen läßt, als ob ich Pi bis auf acht Milliarden Stellen hinter dem Komma berechne. Hinter der Fassade dieses neuen Gesichtsausdrucks laß ich die ganzen Gedanken durchrattern, mit denen ich ansonsten so dämlich aussehen würde. Zum Beispiel den, daß meine alte Dame mittlerweile aufgestanden sein dürfte. Wahrscheinlich wird sie schon defibrilliert oder wie man das nennt, wenn die Sanitäter »Aus dem Weg!« brüllen. Ich schlurfe zu den Fahrplänen neben dem Ausgang. Busse nach Houston fahren in regelmäßigen Abständen, ich hab also genug Zeit, meine alte Dame anzurufen. Und von Houston aus fahren regelmäßig Busse nach Brownsville und McAllen unten an der Grenze. Ich bin kurz davor, zwei Tickets zu kaufen und eins Taylor zu überreichen, wie einen Hochzeitsring oder so. Doch mein Gehirn sagt: Auf gar keinen Fall, kauf erst mal gar keins. Immer schön cool bleiben. Dann fallen mir plötzlich lauter unbestreitbare Tatsachen zum Thema »Wer wagt, gewinnt« ein. Wenn ich jetzt kein Ticket kaufe, provoziere ich vielleicht, daß sie nicht mitkommt. Das Ende vom verdammten Lied ist, daß ich unschlüssig am Ausgang rumstehe und gar nichts mache beziehungsweise Pi ausrechne.
Sagen wir mal, nur so als Beispiel, zwei Typen wollen mit Taylor Figueroa nach Mexiko, sofort. Der eine schenkt ihr Rosen und erzählt, was er vorhat, und fragt sie, ob sie mit will. Der andere Typ taucht mit 'ner Flasche Tequila, einem Joint und zwei Tickets auf. Die Tickets zeigt er ihr nicht gleich, er sagt nur: »Ich hab noch ein paar Stunden zu leben - hilf mir, den Schmerz zu lindern.« Dann macht er sie innerhalb von drei Minuten besoffen und bekifft, saugt ihr die Mandeln aus dem Hals, zieht die Tickets raus und ruft: »In zehn Minuten sind die Bullen hier und verhaften dich wegen Beihilfe - los, wir hauen ab.« Mit wem geht sie wohl, was denkt ihr? Ihr kennt die beschissene Antwort. Und die Sache ist, es geht gar nicht darum, daß der eine nett ist und der andere ein Drecksack. Sondern darum, daß sich einer von beiden sicher war, daß sie mitkommen würde. So läuft das, wer wüßte das besser als wir Amerikaner - wir haben die Anmaßung schließlich erfunden, verdammt noch mal. Das Problem ist bloß, daß einem keiner sagt, was man konkret tun muß. Ich meine, es gibt Bücher, es gibt Videos, es gibt eine ganze verdammte Anmaßungsindustrie, und ich meine jetzt nicht die, wo man lernt, Leute übers Ohr zu hauen und die Verkaufszahlen zu erhöhen und so weiter, das ist noch mal 'ne Industrie für sich - nein, ich meine die Industrie, wo man am Ende weiß, das und das klappt, ganz sicher, Punkt. Aber, wie gesagt, nirgendwo steht, was man eigentlich konkret tun muß, damn's verdammt noch mal klappt. Mein Geldproblem zum Beispiel - positives Denken allein bringt mich da überhaupt nicht weiter. Das ganze Jahr über hab ich positiv gedacht, und was zum Teufel hab ich jetzt davon? Oder meine alte Dame - sie denkt wirklich, daß ein Kühlschrank vor ihrer Haustür erscheinen wird, aber hat das scheiß Ding schon jemand gesichtet? Nein.
Ich hinke zurück zu den Telefonen. Ich bin mir nicht sicher, ob Taylor mitkommt. Und wenn ich ganz ehrlich bin, dann denk ich sogar, daß sie wahrscheinlich eher nicht mitkommt. Sie ist mittags verabredet, und ihr Leben spielt in einer völlig anderen Welt mit reichlich Sonne, duftender Haut und Spitzenhöschen. Alles, was ich hab, ist diese abstoßende, lästige Realität, die nach Rolltreppenmotoren und Blut stinkt und wo jeder Glanz von hektischem Surren und Fiepen abgeschabt wird. Die verdammten Träume können noch so perfekt sein, die Realität entscheidet einfach immer dagegen. Und daß sich unsere zwei Leben kurz streifen werden, heißt noch lange nicht, daß gleich die Funken sprühen. Wahrscheinlich kann ich höchstens darauf hoffen, daß ihr duftiges Seidenspitzenleben ein paar von meinen fauligen Schleimspritzern abbekommt. Es ist zum Heulen, ehrlich. Besonders, weil ich jetzt nicht mehr in der richtigen geistigen Verfassung dafür bin, es auch zuzulassen. Denn wisse, o Partner: Die Erkenntnis wird dich verdammen, denn sie nimmt dir das Gott vertrauen der Einfalt, das du zum Handeln brauchst. Doch das alles bringt gar nichts, außer daß ich mich selbst ankotze. Ich klappe meinen verfluchten Philosophiebaukasten zusammen, ziehe einen Vierteldollar aus der Tasche und werfe ihn in die Luft.
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