Jesus von Texas
ihr Fahrstuhl hoch oder runter fährt. Wahrscheinlich sind hier auch irgendwo die Knochen des Klavierspielers ausgestellt. Fahrstuhlmusik läuft, was sonst. Und es gibt Hinweise auf Ratten. Als ich in die heiße, spülwassertrübe Morgendämmerung hinaustrete, um noch mal zu pissen, bevor ich mich im Laster aufs Ohr haue, stiebt ein Skorpion auf mich zu. Die Omen sind nicht mehr so eindeutig.
Acapulco ist genauso angelegt wie Martirio: ausgebeulte farbige Unterwäsche in den Außenbezirken, daran anschließend die etwas appetitlicheren Regionen von Y-Fronts und praktischem Schuhwerk und schließlich das Zentrum, wo Leuchtstreifen enganliegender Seide vorbeisausen. Wir erreichen die ersten Ausläufer, als der Laster den letzten Hügel vor der Küste hochkraxelt. Pelayo muß seine Fracht in Acapulco entladen, dann fährt er in sein Dorf ein Stück nördlich von hier. Unser Weg in die Stadt hinein läßt sich anhand der Gerüche verfolgen. Wenn es auch nur halbwegs so ist wie zu Hause, dann müßten wir bald den Waschpastenbezirk erreichen, anschließend eine Weile im Old-Spice-Land unterwegs sein, um dann durch die Herbal-Essences-Zone zu kommen. Im Moment sind wir noch in einer Gegend unterwegs, wo man sich genausogut den Finger in den Arsch rammen und dran schnuppern kann.
Die Straße schlängelt sich aus dem Bergland hinaus, das schließlich den Blick auf den Ozean freigibt. Acapulco ist eine riesige runde Bucht, an der Hotels, Hotels und noch mehr Hotels aufgereiht sind. Ich muß mir das größte suchen und von dort aus Taylor anrufen. Mir ist klar, daß das Risiko steigt, erkannt zu werden, schließlich kenn ich den Ort vom Hörensagen, und das bedeutet, es gibt hier Touristen von zu Hause. Von Acapulco hab ich schon mal gehört, und von Coon-Can, oder wie das hieß, wo Leona, die blöde Kuh, das eine Mal Urlaub gemacht hat. Und schon merke ich, wie mich das große Zittern befällt. Mein Blick sucht zwar in der Distanz nach dem richtigen Hotel, aber irgendwas tief in mir drin hofft, daß er keins findet. Kann man mal sehen, was das Gehirn so alles anstellt, um das Zittern zu umgehen. Mein Gesicht fabriziert sogar die für die Betrachtung einer Bucht vorgesehene Mimik - meine Augen werden schmal, und meine Lippen schieben sich nach vorne, so konzentriert suche ich. Dann probier ich, mich selbst auszutricksen, indem ich mir zum Beispiel vornehme, daß ich Pelayo anhalten lasse, sobald ich ein blaues Schild am Straßenrand sehe, dabei weiß ich genau, wenn ich wirklich eins sehe, wird sich mein Gehirn irgendeine blöde Ausrede einfallen lassen, warum das jetzt doch nicht geht. Und als nächstes werde ich mir dann vornehmen, bei einem grünen Schild aber wirklich auf jeden
Fall auszusteigen. Ehrlich, ich treib's mal wieder auf die Spitze. Verdammte Scheiße.
Pelayo beendet das Spiel, indem er bei einer kleinen Kneipe in einer Straße oberhalb des großen Boulevards ranfährt. Seit dem Tod Dog im Fliegennest haben wir nichts gegessen, und der Samstag ist nicht mehr gerade jung. Pelayo hält vor der Kneipe und schaut mich einfach nur an. Er spürt wohl, daß ich für eine Weile wieder mit meiner chemisch gereinigten Welt verschmelzen muß. Dann gibt er mir zu verstehen, daß ich in zwei Stunden hier auf ihn warten soll, falls ich mitkommen will in seine Stadt. Bis dahin hat er den Laster entladen. Seine Worte ziehen eine Membran der Befangenheit zwischen uns hoch, so, als ob er ahnt, daß meine natürliche Umgebung in einem dieser Hoteltürme voller reicher Leute liegt. Er weiß, daß er dort höchstens so was wie ein beschissener Gärtner sein könnte, wenn überhaupt. Unsicher und scheu flattert sein Blick zwischen der bedrückenden Wahrheit und den vergangenen Momenten unserer ungewöhnlichen Freundschaft hin und her. Dann klopft er mir auf den Rükken, macht kehrt und geht mit seinen unsichtbaren Knarren zum Eingang der Kneipe. Lucas folgt ihm, Verwirrung im Blick. So viel zu Vernon Gonzales Little.
Als ich am Strand unterhalb des Boulevards ankomme, bin ich komplett durchgeschwitzt. Es ist ein edler Strand, aber rumlaufen kostet ja nichts, also zieh ich mein T-Shirt und meine ollen Firestone-Schlappen aus und fang wieder an, einem Amerikaner zu ähneln. Zwei Sicherheitsleute beobachten mich, wie ich auf dieses klotzige Hotel zulaufe. Als ich rüberschaue, winken sie - irgendso 'n amerikanischer Dummbatzen, werden sie denken. Ich speichle meine Haare und Augenbrauen ein und stolziere mit imaginärer Bewaffnung
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