Jesus von Texas
Scheiße, verstehst du? Dieser bescheuerte Typ, mit dem ich zusammen war ...»
»Der Arzt?«
»Genau, der sogenannte Arzt. Am liebsten würde ich einfach nur wegrennen, o Gott ...«
»Ich kenn das Gefühl.«
»Aber egal, wo bist du denn?« fragt sie und schnaubt sich die Nase.
»Acapulco.«
»Verdorbener Kerl, du. Wart mal, ich guck auf den Plan - bist du irgendwie am Strand?«
»Ja, an so 'nem großen Boulevard.«
»Das müßte die Costera Miguel Aleman sein- da gibt es ein Western-Union-Büro in einem Einkaufszentrum namens Comercial Mexicana.«
»Du hast was gut bei mir, Tay.«
»Aber wart mal, hör zu - morgen ist Sonntag, ich krieg das Geld erst am Montag. Das Büro hat Montag bis sieben offen, also wenn du so um sechs hingehst ...«
»Kein Problem«, lüge ich und schaue zu, wie sich auf der Anzeige der letzte Tropfen meines Guthabens löst.
»Und Baby«, sagt sie. Die Leitung verstummt.
Das Love Boat liegt im Hafen, ich schwör's. Das Schiff aus dieser alten Serie, die Mom sich immer anschaut, mit der notgeilen Kreuzfahrtmanagerin und Kapitän Stupid und so. Es hat sogar dieses Wella-Balsam-Wappen am Schornstein. Ganz großes Staraufgebot in Acapulco, ich sag's euch.
Dann fällt die Bucht hinter uns zurück, und ich ziehe meinen Kopf aus dem Fahrtwind in die Kabine hinein. Pelayos Laster brettert über ein paar Hügel und biegt dann nach Norden ab, auf eine Küstenstraße wie aus dem Fernsehen, mit jeder Menge Kokospalmen, ganzen Plantagen voller Kokospalmen. Der Strand ist nicht ganz so weiß wie in Gegen jede Chance, und das Wasser ist auch nicht so blau, aber was soll's. Eine Weile fahren wir direkt neben einer Lagune her, die aussieht wie aus Tarzan oder so. Einmal müssen wir sogar durch eine gottverdammte Armeestraßensperre mit einem Maschinengewehr, ohne Scheiß. Panisch pumpen meine Organe, aber dann stellt sich raus, die Soldaten sind bloß Kinder, die unter ihren riesigen Helmen aussehen wie Cartoon-Ameisen.
Ein paar Stunden später biegen wir von der Straße auf einen Weg, der zum Meer führt. Er endet an ein paar Baumstämmen, die im Strand versenkt sind; hinter uns schließt sich der Dschungel. Die Stadt ist winzig klein - nur ein paar hölzerne Slumhütten, zwischen denen Schweine, Hühner und echt häßliche Hunde rumrennen, das war's. Obwohl, Slumhütten trifft's gar nicht, eigentlich sieht's hier eher aus wie im National Geographic. Das verdammte Paradies, Mann. Pelayo parkt hinter einem Laden, der von Fanta-Schildern zusammengehalten wird und eine Veranda aus getrockneten Palmblättern hat, auf der zwei Männer in Hängematten liegen und Bier gluckern. Als wir aussteigen, kommen die Kids scharenweise angerannt. Man merkt, daß Pelayo hier den Ton angibt - er ist wahrscheinlich so was wie der Mr. Lechuga dieser kleinen Stadt, nur menschlich. Jetzt bin ich der Außenseiter in seiner Welt. Er gibt sich wahnsinnig viel Mühe, daß ich mich gut aufgenommen fühle - schnipst mit den Fingern, um die Kids wegzuscheuchen, holt uns Bier aus dem Laden. Ich steh einfach nur still da, heb meine Nase in den Wind und lausche einem ganzen Lexikon unbekannter Insekten. Ungawa wakashinda, ich schwör's. Pelayo öffnet das Bier mit seinen Zähnen und führt mich stolz zu einer überdachten Terrasse am Strand. An einem Tisch sitzen zwei ältere Männer, und hinter einer improvisierten Bar steht eine alte Frau.
Plötzlich huscht ein kleiner nackter Junge an ihr vorbei und versucht, einen verwundeten Krebs auf dem sandigen Beton aufzuspießen. Er erlegt ihn mit einem sauberen Stich durch den Rücken, sagt »Yesssss!« und bleibt stehen, um mit der Faust einen imaginären Hebel zu sich ranzuziehen. Pelayo kickt den Krebs aus meinem Weg und wedelt mich zu einem Tisch direkt am Strand.
Nach und nach bildet sich ein Auflauf von Flaschen vor uns auf dem Tisch. Gegen Abend kommt ein Junge vorbei, der ein bißchen Englisch spricht; ein hagerer, intelligent aussehender Typ namens Victor. Er trägt eine Zahnspange, das sieht man selten hier in der Gegend. Victor erzählt mir, wie wichtig es ihm ist, voranzukommen im Leben - Wohlstand ins Dorf zu bringen und so weiter. Ich komm mir vor wie eine nichtswürdige Ratte, als ich das höre. Dann übersetzt er mir den Spruch zwischen den Schmutzfängern. »Du siehst mich und leidest« - »Me ves y sufres«.
Als klar wird, daß ich so langsam besoffen bin, bieten die Jungs mir Austern an, so groß wie Burritos und frisch aus dem Meer. Aber vergiß es, niemals.
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