Jesus von Texas
Ich hab mal eine gegessen, als Kind, und es hat geschmeckt wie irgendwas, das sonst nur durch meine Nase in die Speiseröhre gelangt. Zufällig bieten sie mir die Austern an, als ich gerade dabei bin, Rotz hinterzuziehen und runterzuschlucken. Ohne nachzudenken, deute ich beim Hinterziehen auf meine Nase, verzieh das Gesicht und zeige auf die Austern. Sie bepissen sich so sehr, daß man's wahrscheinlich bis Acapulco hört, und hinterher können sie mir 'ne geschlagene Stunde nicht ins Gesicht sehen, ohne sich wegzuschmeißen vor Lachen. Typisch von mir, Schleim ins Paradies einzuschleppen.
Nach einem Tequila erwachen Löwen und Tiger unter dem silikonklaren Himmel, und ich versuche, die Sache mit dem Strandhaustraum, den Schmutzfängern und dem Schicksal zu erklären. Ich bin ein bißchen dicht. Verdammt dicht, um die Wahrheit zu sagen. Aber ich hab noch nicht mal richtig angefangen mit meiner Geschichte, da nehmen mich Victor und Pelayo schon bei den Armen und gehen mit mir den Strand entlang, vorbei an Palmen, unter deren Wipfeln jetzt die Fledermäuse kreisen, zu einer etwa zehn Minuten entfernten Stelle, wo der Dschungel sich so nah ans Meer drängt, daß man fast ins Wasser geschubst wird. Ein paar Kids folgen uns, ihre Körper schimmern im Zwielicht der Brandung. Dann bleibt Victor stehen und deutet mit seinem Arm durch das dämmrige Licht. Ich kneife die Augen zusammen und schaue in die vorgegebene Richtung über den Strand, und dann sehe ich, sorgfältig verschlossen und halb verborgen im Dschungel, ein altes weißes Strandhaus. Mein Strandhaus.
Die Jungs meinen, es ist okay, wenn ich bis Montag hier bleibe. Oder länger. Oder auch für immer. Nachdem sie am Strand zurück nach Hause gewankt sind, setz ich mich auf den Balkon und laß den Abend aus dem Meer in meine Seele steigen. Und plötzlich werden alle Wellen in mir zum Amalgam einer einzigen, neuen Melodie, zu einer Sinfonie, durch die unbeschwert ein paar Noten meines ursprünglichen Traumes tanzen: Da ist meine alte Dame, die hierherkommt und die geordneten sanitären Verhältnisse sieht und begreift, wie gut alles geworden ist. Kann sein, daß ich meinen Namen ändern oder Mexikaner werden muß, keine Ahnung. Aber ich werde immer noch derselbe sein, nur ohne jede Spur von Schleim. Mein Blick geht über den kleinen Garten hinweg zum Strand, und ich sehe Taylor in einem Höschen herumlaufen, braungebrannt wie ein Mädchen von hier.
Es folgt ein ganzer Sonntag in Walhalla, an dem ich nichts tue, als mich in meinen Träumen zu suhlen. Als ich am Montagmorgen erwache, streicht heiße, nasse Luft über mich hinweg, und mein kleiner Freund ist wie aus Stahlbeton, so als ob er vom Mount Rushmore abgesplittert ist. Dabei ist meine Hand nicht mal in seiner Nähe - er ist einfach nur Ehrengast bei seiner eigenen kleinen Parade. Ich schaue mich um: Der Himmel ist von Wolken zugewuchert, struppige graue Pelikane stoßen in die Brandung hinab und ins Wasser hinein, und die Wipfel der Kokospalmen wiegen sich rauschend im Wind, in genau dem Rhythmus, den ich mir für mein Leben wünsche: cool und entspannt. Es ist schon eine Weile her, daß ich das letzte Mal diese kleine Freude über einen neuen Tag gespürt hab. Es ist mein Geburtstag.
In meiner Haut zu stecken fühlt sich an diesem Nachmittag an, als hätte man eine ganze Kolonie Hummeln im Hintern oder gleich ganz Las Vegas. Ich bin sechzehn, ich sitze im Bus nach Acapulco, und ich hab Vegas im Hintern. Bevor der Bus überhaupt in der Stadt ist, stehe ich schon an der Tür und platze fast vor neuen Möglichkeiten: tropische Fische und Vögel, Bananenblätter, Affen und Sex. Das Strandhaus. Ich hab jetzt erfahren, daß es einem alten Obstfarmer gehört, der ein Stück vom Dorf entfernt wohnt. Er benutzt es nicht mehr, und Victor meint, ich kann wahrscheinlich umsonst dort wohnen, wenn ich mich ein bißchen drum kümmere.
Der Boulevard in Acapulco ist stickig an diesem Abend, die bunten Lichter neben der Straße leuchten groß wie Ideen. Victor hat mir einen Strohhut geliehen, um meine Kokospalmenfrisur und meine Austernschalenohren ein wenig zu kaschieren. Ich betrachte mein Spiegelbild im Fenster des Comercial-Mexicana-Gebäudes: Huckleberry Finn, eindeutig. Bevor ich reingehe, lege ich meinen Pistolengurt an, um den Eindruck des Hutes aufzuheben, dann laufe ich drinnen im Kreis herum wie ein Hund, der sich nicht entscheiden kann, wo er sich niederlegt. Irgendwann entdecke ich den Schalter von Western
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