Jesuslatschen - Größe 42
Wegstrecke. Er legt
sich wie ein Netz über Europa und vereinigt in Santiago de Compostela all jene
Menschen, welche ihn gefunden haben.
Am Hafen von Lianes finden wir ein Restaurant, wo man sehr gut und reichlich Fisch essen kann. Asturische Bohnensuppe und eine Fischplatte sind ein
würdiger Geburtstagsausklang. Direkt am Nachbartisch sitzt ein Paar, Mutter und
älteres entwachsenes Söhnchen, aus den älteren Bundesländern Deutschlands. Er,
ein toller Hecht, rote Nase, klein kariertes Hemd, Ödipus sehr ähnlich. Die
stolze Mama mit einem immer offenem Ohr, den Kopf ein wenig zur Seite geneigt,
an seiner geschwollenen Brust. Eine geschlagene Stunde lang protzt das Söhnchen
vor der Mutter mit irgendwelchen Geldgeschäften: „150.000 Euro den Bach
hinunter..., zum Glück haben die in Leipzig noch etwas dazugelegt...“ Und so
fort. Ich kann mich dem nicht entziehen. Das Pärchen sitzt mir ja regelrecht im
Ohr. All das, was ich gestern über Geld, Wohlstand etc. gesagt habe, ergießt
sich heute wie ein Sturzbach. Beim Hinausgehen wünsche ich den beiden noch im
tiefsten Sächsisch: „Äh gudn Ohmt .“
Söhnlein ist fast das Gesicht eingeschlafen, von wegen J. S. Bach - runter - Stadt - Leipzig und so.
Im Hafen betrachten wir zu später Stunde noch
ein recht schwergewichtiges Kunstobjekt. Gérald kann auch mit dieser Art Kunst
nicht viel anfangen. Der baskische Künstler
Agustín Ibarrola zeigt dort „Los Cubos de la Memoria“. Zweihundert
Betonquader, welche den Hafen vor der Brandung schützen. Jeder von ihnen ist
tonnenschwer. Die Kuben sind mit grellen Farben und bunten Motiven bemalt. Das
lässt sie leicht aussehen, wie Pappkartons, die gerade mit der Brandung an Land
gespült werden. Der Sinn dieses Werkes ist es, ständig an die Naturgewalten zu
erinnern und gleichzeitig den Hafen vor dieser Gewalt zu schützen. Denn im
Jahre 1886 hatte eine Sturmflut den Ort Lianes zu zwei Dritteln zerstört.
Mit den Naturkräften halten es die folgenden
Herren nicht so, eher mit den Leibes- und Sinneskräften. An der Hafenmauer
versuchen vier Fischer, nicht mehr ganz nüchtern, ihr Boot anzulegen. Zuerst
fliegen Kisten, dann ein Fischer und am Ende brechen die vier einen
ordentlichen Streit vom Zaun. Scheinbar war der Fischzug heute nicht so
ergiebig, da kann so etwas schon einmal vorkommen.
Für meinen Freund Elz ,
den alten Seebären, mache ich im Hafen noch ein originelles Foto. Mit einem
abgelegten Anker in den Händen, möchte ich ausdrücken, dass ich heute hier in Lianes vor Anker gehe. Sinngemäß aber auch, dass ich auf
dieser Reise Ballast abwerfe.
Zurück in der Herberge, rüsten wir zur
verdienten Nachtruhe. Beim Beziehen der Matratze, reißt das Bettlaken in der
Mitte ein. Ich ziehe es mir über den Kopf, wie einen Poncho, dann stelle ich
mich auf einem Hocker mitten im Raum. Als Gérald vom Waschen zurückkommt, winke
ich ihn mit einer vorgestreckten Knochenhand zu und zitiere eine Stelle vom
Central Scrutinizer aus Frank Zappa seinem Album
„Joes Garage“ „ the end is near ...“. Was soviel bedeutete
wie „das Ende ist nahe ich komme dich zu holen...“
Ein makaberer Scherz, den ich schon im gleichen Moment bereue, als ich an Géralds Krebsleiden
denke. Dann bemerke ich aber, dass Gérald Sinn für meinen ungewollt schwarzen
Humor hat, und selber herzhaft lacht.
Als ich im Schlafsack liege, hoffe ich, dass
heute kein Zug mehr in den alten Bahnhof einrollt und wir noch lange leben. In
Ermangelung von Schafen, zähle ich die Wolken imaginärer Dampfloks, bis mich
der tiefe Schlaf holt.
Gute Nacht, Elz .
Freitag, 28.04.2006
Lianes - Ribadesella - San Estaban
Um 7:15 Uhr wird der innere Motor wieder
angeworfen, meine Ferse schmerzt gleich nach dem Aufstehen. Gérald redet auf
mich ein, dass ich, um den Fuß zu schonen, kleinere Schritte gehen müsse und vor
allem wesentlich langsamer laufen soll.
Eine Kauderwelschredewendung von Gérald möchte ich noch zum Besten geben. Plötzlich riecht es etwas streng.
Gérald meint, auf die asturische Bohnensuppe von
gestern bezogen: „Sorry, the beans from yesterday . I hear it in the night, perdon no, I make it noise .“ Er entschuldigte
sich wegen der „Auswirkungen“ des Bohnengerichts am Abend. Unangenehm, aber in
diesem Zusammenhang köstlich ausgedrückt.
Ganze zehn Kilometer halte ich noch Schritt,
dann mache ich Gérald den Vorschlag, er solle allein weitergehen, ich werde das
Tempo
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