Jesuslatschen - Größe 42
verlangsamen, um den Fuß zu schonen. Ich könnte mich ins Knie beißen, es
liegt doch noch soviel Weg vor mir. Er findet das
vernünftig und holte aus seinem Rucksack ein kleines Präsent in Form von einer
Packung Tabletten und einer Tube Wundersalbe. Zweimal täglich eine Tablette
einnehmen und den Fuß gut einmassieren, gibt mir „Dr. Gérald“ auf den Weg. Wir
verabschieden uns mit einem aufrichtigen „Buen Camino“. Nun bin ich wieder am
Fahrwasser des Weges und lasse mich einfach treiben.
Wie ich Gérald so davonlaufen sehe, habe ich
eigenartigerweise das Gefühl, auf einer Brücke zu stehen und von oben herab
seinen weiteren Weg zu verfolgen. Es ist sehr wichtig, diesen Menschen
kennengelernt zu haben, da er mich erst so richtig auf den Weg gebracht hat.
Schon die Art und Weise wie wir uns begegnet sind, ohne dieselbe Sprache zu
sprechen, hat mich überzeugt.
Sich mit Small Talk mäßig mit jemandem bekannt
zu machen, auch wenn man die Sprache nicht versteht, ist eine nette Geste. Aber
unterhalten kann man sich nur, wenn man sich in das Nichtverständnis des
Anderen hineinversetzt und das Ganze wirken lässt. Man kann nur das
übermitteln, was man wirklich sagen will.
Mit jedem Meter auf dem Camino geht Gérald auf
sich zu. Das ist seine Sinnfindung. Er läuft nicht vor dem Leben davon, sondern
er setzt sich mit seiner Krankheit auf diese Weise auseinander. Buen Camino,
Gérald.
Am Fuße der Picos geht es sich in satter Landschaft, ohne Asphalt, mit kleinen Schritten und
vielen Pausen angenehmer. In Sichtweite kommt das verlassene Kloster „San Antolin de Beon “. Ich klettere
mit dem Klotz am Bein auch noch einen kleinen Hang hinunter, um in die
Klosteranlagen zu gelangen. Wieder finde ich einen Platz der absoluten Stille,
dort sind nichts und niemand. In der Ferne sehe ich zwei ebenso einsam wirkende
Pferde auf einer weiten Wiese. Dieser ruhige Ort gibt viel ab, er fängt mich
ein und lässt mich träumen von der einstigen Zeit. Als die Mönche anfingen,
hier ein Kloster zu erbauen, sich bildeten sowie Handel und Wandel trieben.
Immer Gott ergeben, richteten sie hier in dieser Abgeschiedenheit ihr Leben
ein. Nun verleibt sich die Natur dieses Stück Menschenwerk wieder ein. Die freistehende
Klosterkirche hat ein großes Portal, aber keine Tür. Als ich den schlichten,
verlassenen Kirchenraum betrete, sehe ich das massive Holztor auf einem
Steintisch liegen. Zaghafte Versuche eines für die Blicke unsichtbaren
Handwerkers etwas Unwiederbringliches zu erhalten. Immerhin ist ein Anfang
gemacht. Aber wo sind die Handwerker? Waren sie gestern hier? Ich glaube, eher
im vorigen Jahr. Aber ich wünsche diesem verlassenen Ort, dass sie wiederkommen
mögen und einfach weiterarbeiten. An dieser Tür!
Die Dächer der Stallgebäude des Klosters
kommen den Katapultstarts im Guggenheim-Museum sehr nahe. Bloß, dass die Dächer
in dem Falle nach innen stürzen. Übrigens, an diesem einsamen Ort der Stille
finde ich ein, wenn auch gewöhnungsbedürftiges, „stilles Örtchen“. Pardon.
Erneut auf die Piste zu gelangen, erweist sich als schwierig und beschert mir
nasse Füße, da eine weite Sumpfwiese den direkten Weg abschneidet.
Bis zur Herberge von Pineres ist es nicht mehr weit. Im Pilgerführer steht zwar, dass diese 1999 eröffnet
wurde, um 2002 wieder geschlossen zu werden. Es ist doch aber eine
Reinkarnation 2006 möglich, hoffe ich. Eine Herberge im Dornröschenschlaf
erwartet mich, so wie beschrieben. Die Natur hat zwar keine Rosenhecke über das
Gebäude ausgebreitet, wohl aber eine üppig wuchernde Vegetation. Schade! Wo ist
der Recke mit dem Schwert, der dieses Kleinod aus seinem tiefen Schlaf erweckt?
Zahlreiche Pilger würden es ihm an dieser Stelle sicher danken.
Bei der Kirche von Pria bietet sich meinen Augen ganz unvermittelt ein sehenswertes
Urlaubskartenpanorama. Auf einer Anhöhe steht diese Kirche, gesäumt von
blühenden Kastanien. Dahinter liegen die felsigen Berge der Picos .
Himmel, Wolken und die Sonne lassen diesen Ort erstrahlen.
Direkt an der, den Bergen zugewandten,
Kirchenfassade, befindet sich eine lange gemauerte Steinbank. Der ideale Platz
für eine ausgiebige Rast. Die warme Sonne hat auch einige Eidechsen aus den
Mauerritzen gelockt, interessante Compañeros . Von
meinem ausgebreiteten Frühstück halten sie nicht sehr viel. Ich glaube, die
wollen einfach nur die warmen Sonnenstrahlen tanken, so auch ich. Die Füße
benötigen dringend Streicheleinheiten und Sonne
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