Jetzt! - die Kunst des perfekten Timings
Qualitätskontrolle. Variationen zu reduzieren kann Kosten senken und die Qualität verbessern, birgt aber auch Gefahren. So wurde es in den 1980er Jahren technisch möglich, die Aufmerksamkeit und das Interesse von Menschen anhand ihrer Pupillen zu messen. Geweitete Pupillen zeigen Interesse an, verengte Pupillen Desinteresse. Marktforscher erfassten nun die Pupillengröße von Fernsehzuschauern, während diese sich Pilotsendungen ansahen, und rieten den Verantwortlichen beim Fernsehen, die Passagen der Sendungen herauszuschneiden, in denen das Interesse nachließ. Aber wenn sie die emotionale Spannung durchgängig hoch hielten, scheiterten die Pilotsendungen kläglich, wie Jagdish Sheth, ein Marketingprofessor an der Emory University, erklärte. 3
Das sollte uns nicht überraschen. Wenn ein Herzmonitor eine gerade Linie zeigt, ist das Leben vorbei. Die meisten menschlichen Aktivitäten verlangen ein gewisses Maß an Variabilität. Untersucht man das Spiel guter Musiker quantitativ, kann man häufig feststellen, dass sie nicht synchron zum Metronom spielen. Gewöhnlich holen sie die Verzögerung innerhalb von einem oder zwei Takten auf. Würden sie aber ständig genau das vorgegebene Tempo einhalten, klänge es langweilig und uninteressant.
Wenn eine Performance Variationen braucht, um lebendig zu sein, so wirkt deren Fehlen künstlich oder falsch. Der MIT-Professor Andre Lo suchte 2005 nach Warnzeichen für die Krisenanfälligkeit von Hedge-Fonds. Er stellte fest, dass viele »Hedge-Fonds Renditen verbuchten, die zu gleichmäßig waren, um realistisch zu sein«. Als er nachhakte, fand er heraus, dass Fonds mit schwer einzuschätzenden illiquiden Investments – wie Immobilien oder ausgefallenen Zinsswaps – besonders gleichmäßige Renditen aufwiesen. In diesen Fällen – so seine Einschätzung – war es wohl so, dass die Manager keine Möglichkeit hatten, Schwankungen zu messen, und daher einfach von einem stetig steigenden Wert ausgingen. Leider können gerade solche Investitionen in einer Krise hohe Verluste erleiden. Lo kam zu dem Schluss: »Die Gleichmäßigkeit von Renditen zu messen bietet Ökonomen eine gute Möglichkeit, den Anteil relativ illiquider Investitionen in der Hedge-Fonds-Welt abzuschätzen […], ohne Einzelheiten über die Investitionen zu kennen.« 4
Lo fand also heraus, dass Geraden ebenso informativ sein können wie Kurven, wenn man sich nur die Zeit nimmt, zu erkennen, was sie tatsächlich bedeuten. Dieses Prinzip gilt ebenso für andere Formen.
Durchbrochene Linien, dynamische Abschnitte
Gemeinhin gliedern wir die Zeit in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Wenn wir diese Gliederung auf einer Zeitschiene anordnen, sieht diese Linie so aus:
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Zumindest in den englisch- und deutschsprachigen Kulturen stehen die vergangenen Ereignisse gemeinhin auf der linken und die zukünftigen Ereignisse auf der rechten Seite. Diese Dreiteilung der Zeit ist wichtig, weil die wirksamsten Timingregeln, nach denen wir entscheiden, wann zu handeln ist, Tripel sind (siehe Tabelle 5.1). Zellen mit einem Ja bezeichnen Zeitfenster, in denen sich Chancen eröffnen und Handeln Erfolg verspricht, ein Nein steht für Fenster, die keine Chancen bieten und Handeln unmöglich oder nicht ratsam machen.
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Tabelle 5.1: Timingtripel
Wie die Tabelle veranschaulicht, hängen Timingentscheidungen davon ab, was in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft möglich ist oder für möglich gehalten wird. Wenn Sie die mit Timingentscheidungen verbundenen Gefühle begreifen wollen, müssen Sie alle drei Zeiträume berücksichtigen. Vergleichen Sie beispielsweise die farbig unterlegten Zeilen 5 (Nein – Ja – Nein) und 7 (Nein – Ja – Nein). Beide führen zu der gleichen Entscheidung: sofort handeln. Es gibt jedoch einen Unterschied. In Zeile 5 ist es Ihre erste und einzige Chance. In der Vergangenheit war Ihr Vorhaben unmöglich durchzuführen, und es wird in Zukunft nicht mehr möglich sein. Handeln Sie sofort. In Zeile 7 ist es Ihre letzte Chance, eine Gelegenheit zu nutzen, die schon immer bestand. Die Entscheidung ist dieselbe:Nutzen Sie den Augenblick. Aber je nach Zeittripel, das die Entscheidung bestimmt, fühlen wir uns dabei anders.
Kurven
Im Folgenden möchte ich auf drei Kurvenarten näher eingehen: auf Kurven, die sich beschleunigen oder verzögern, auf eine Sonderform, die ich den dramatischen Spannungsbogen nenne, und auf die bekannten S-Kurven.
Beschleunigungs- und
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