Jetzt ist gut, Knut (German Edition)
lang war ich versucht, ihr die ganze Wahrheit zu sagen. »Natürlich dürfen Sie mich Lillian nennen.« Ich kippte den Rum in meinen Tee und nahm einen großen Schluck, ehe ich auf ihre eigentliche Frage antwortete. »Mein Leben ist tatsächlich etwas aufregender als noch vor ein paar Wochen. Allerdings ist dafür nicht mein Mann verantwortlich.« Ich holte tief Luft. »Ich habe nämlich im Lotto gewonnen. Knapp dreihunderttausend Euro.« Da. Es war raus. Zum ersten Mal hatte ich es jemandem erzählt. Endlich konnte sich ein anderer Mensch mit mir freuen. Spontan beschloss ich, uns einen Sekt auszugeben. Ich winkte schon nach der muffeligen Bedienung, als mir auffiel, dass Marie-Anne gar nicht erfreut guckte. Nicht das allerkleinste Lächeln umspielte ihre pfirsichfarbenen Lippen. Wo war das Leuchten in den dunklen Augen, das ich mir vorgestellt hatte? Wo blieb ein Satz wie: »Das ist ja großartig!« Oder wenigstens ein kleiner Glückwunsch?
Marie-Anne Dupont blickte mich ernst an. Sehr ernst. Ich würde sogar sagen, in ihrem Blick stand Mitleid. Als hätte ich ihr nicht von einem Lottogewinn, sondern von einem unheilbaren Leiden erzählt, das mich in den nächsten drei Monaten unweigerlich dahinraffen würde. Ihre Worte klangen dann auch wie die eines Pfarrers bei der Letzten Ölung: »Lillian, meine Liebe, mir müssen Sie doch keine Geschichten erzählen. Ich dachte, das hätten wir geklärt.«
Ich Volltrottel! Auf die Idee, dass sie mir nicht glauben könnte, war ich gar nicht gekommen. Obwohl sie mich doch für eine Lügnerin hielt. Ich meine, obwohl ich eine war. Ach Scheiße. »Nein, nein, das ist keine Geschichte! Ich könnte Ihnen meinen Kontoauszug zeigen, wenn ich ihn dabeihätte. Ehrlich!« Sie lächelte milde. »Und ausgerechnet mir erzählen Sie davon, einer Frau, die Sie kaum kennen?« – »Eben drum!« – »Mögen Sie mir das erklären?« – »Ja, allen anderen kann ich nicht davon erzählen.« Und dann brodelte das ganze Dilemma mit Knut und seiner Mama und meiner Feigheit aus mir heraus. Dass ich den Kontakt zu meiner ehemals besten Freundin verloren hatte, weil sie mich für gestört hielt. Dass meine anderen Bekannten und auch meine Familie sofort Knut von meinem Gewinn erzählen würden, wenn sie davon wüssten. Weshalb ich lieber mit einer Fremden darüber redete. Um überhaupt mal darüber zu reden. Wobei ich das Gefühl hätte, sie schon ewig zu kennen, obwohl das natürlich Quatsch wäre. Und es gebe ohnehin schon genug Dinge in meinem Leben, über die ich mit niemandem reden könne (ich fürchte, im Vergleich zu meinem Redestrom an diesem Tag war der Rhein bei Hochwasser ein ganz lahmer Fluss). Natürlich fragte Marie-Anne sofort nach, was denn sonst noch so unaussprechlich sei. Und beinahe wäre der Name Berger gefallen, in Verbindung mit dem Wort Praline. Aber gerade rechtzeitig fiel mir wieder ein, dass ich heute keine kleine Sekretärin war, sondern PR-Agentin. Zum Ausgleich erzählte ich ihr von einem bestimmten Hundetrainer, der mir einfach nicht mehr aus dem Kopf ging.
Dann bestellte ich den Sekt. Wenn sie mir immer noch nicht glaubte, würde ich ihn eben allein trinken. Mein Mund war so trocken wie zuletzt vor drei Jahren, als ich beim Hamburger Frauenlauf mitgemacht und nach fünf Kilometern fast zusammengebrochen war. Die Pikkolos kamen. Ich goss ein und reichte Marie-Anne ein Glas. Sie nahm es und lächelte endlich. »Na dann – auf Ihren Lottogewinn!« Wir stießen an. »Und auf den neuen Mann in Ihrem Leben!« Nein, nein, nein. Da hatte sie was falsch verstanden. »Da haben Sie jetzt etwas falsch verstanden.« – »So?« – »Ja, also, dieser Tim, von dem ich Ihnen erzählt habe, der ist natürlich nicht der neue Mann in meinem Leben. Der ist nur …« – »Ja?« – »Ein Bekannter. Jemand, den ich zufällig getroffen habe und der mir, na ja, der mir eben sympathisch ist. Sonst nichts. Vielleicht habe ich da eben ein bisschen übertrieben. Ich treffe ihn ja überhaupt nur wegen Herkules.« – »Und Sie würden sich nicht wünschen, ihn ohne den Hund zu treffen?« – »Nein, selbstverständlich nicht!« Sie trank Sekt und sah mich an. Wieder mit so einem Du-kannst-mir-viel-erzählen-aber-ich-glaub-dir-kein-Wort-Blick. »Nun gucken Sie nicht so. Ich würde meinen Mann nie hintergehen. Außerdem interessiert sich Tim sowieso nur für das andere Ende der Leine. Mich sieht der gar nicht.« Das stimmte nicht ganz. Ich hatte ihn mit meinem gelungenen Kleopatra-Auftritt
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