Jetzt ist gut, Knut (German Edition)
klingen. Eher wie die hilfsbereite Hamburgerin, die eine Neubürgerin begrüßen will. »Angekommen ja, eingelebt nein. Aber ich bin ja auch erst ein paar Tage hier.« Sie seufzte. »Und irgendwann werde ich sicher auch die letzte Kiste ausgepackt haben.« – »Das hört sich an, als könnten Sie eine Pause gebrauchen.« – »Pause klingt prima.« Wir verabredeten uns für den kommenden Tag zu einem Alsterspaziergang. Erleichtert legte ich den Hörer auf. War doch gar nicht so schwer. Jetzt brauchte ich nur noch etwas Neues zum Anziehen.
Verdammt, war der Wind frisch und die Luft feucht. Es roch nach moderigem Laub und Erde, nach Herbst. Vor gut drei Wochen hatten wir noch draußen gesessen, schwer zu glauben. Über der Alster lag Nebel, in dem ab und zu schattenhaft eine Möwe auftauchte und schrie. Es hätte dennoch ein schöner Spaziergang sein können, wenn ich wärmere Schuhe angehabt hätte. Solche Stiefel wie Marie-Anne zum Beispiel, die warm genug angezogen war, um den Tag auf einer Skipiste zu verbringen. Ihr feines Gesicht war zwischen einem dicken Schal und einer Strickballonmütze in den Farben des Regenbogens kaum zu sehen. »Was halten Sie von einem Tee?« Wir waren beim »Alster-Cliff« angekommen. Ich wollte in die Wärme und ich wollte endlich reden. Natürlich auch zuhören. Bisher hatten wir beide kaum ein Wort gewechselt. Sie nickte.
Wir suchten uns einen Platz – es war Donnerstag, später Nachmittag und noch nicht allzu voll – und warteten auf die Bedienung, die in aller Ruhe telefonierte. Ich überlegte schon, woanders hinzugehen, als Marie-Anne eine übergroße Zigarette aus der Tasche holte und genüsslich daran zog. Der Qualm hatte noch nicht den halben Weg zur Decke geschafft, da stand die finster blickende Kellnerin vor uns. »Wir hätten gern zwei Tee und zwei Rum«, sagte Marie-Anne und lächelte süß. »Hier ist Rauchen verboten!«, raunzte die junge Frau und fummelte nervös an ihrem Nasenpiercing. »Ich rauche nicht, ich dampfe. Oder riechen Sie Rauch?« Ich war nicht weniger irritiert als die junge Kellnerin. »Das ist eine elektronische Zigarette, mein Kind, tabakfrei, und nun bringen Sie mal unsere Getränke.« Das verdatterte Mädchen verschwand, und Marie-Anne grinste mich an.
»Tolle Erfindung. Habe ich erst seit einer Woche. Schmeckt übrigens nach Vanille.« Ich hatte schon davon gehört, aber noch nie so eine E-Zigarette gesehen. »Ich hab gelesen, die sind giftig.« – »Bestimmt nicht giftiger als Tabak. Außerdem ist mir das völlig egal.« Jedenfalls stank das Ding nicht wie eine Roth-Händle. Und ich war froh, ein Thema zu haben, über das wir erst einmal unverfänglich reden konnten. Schließlich konnte ich ja schlecht sagen: »Schön, Sie wiederzusehen, ich habe da nämlich ein kleines Manko in Sachen Freunde und muss mal ein paar Dinge loswerden.« Leider war ihre Elektrokippe als Thema auch kein Dauerbrenner und nach wenigen Minuten verdampft. Worüber jetzt reden, wenn nicht über das Wetter? »Was hat Sie von München nach Hamburg verschlagen? Das ist ja ein ganz schöner Sprung.« Wieder das heisere Lachen. »Ein Mann, was sonst?« Ich lachte auch. »Ein Mann in Hamburg oder einer in München?« – »Vielleicht ja sowohl als auch? Nein, kleiner Scherz. In München. Und damit schön weit weg.« Die Kellnerin brachte die Teegläser und den Rum. »Außerdem wollte ich immer schon mal in den Norden. Ich liebe Veränderungen. Sonst wird das Leben so schnell ennuyant.« Ennu-was? Ich sagte: »Ich fürchte, Französisch gehört nicht zu meinen Stärken.« – »O Entschuldigung. So langweilig. Einschläfernd. Genauso wie die meisten Männer. Kennen Sie den Spruch: Männer sind wie Tapeten, man sollte sie wechseln, bevor sie einen langweilen? Kann man auch auf Städte anwenden.« Ich musste lachen. »Na, wenn mehr Frauen so denken wie Sie, müsste man sich wohl Sorgen um die Gattung der Ehemänner machen.« – »Oder um die der Paartherapeuten.« Sie stieß weiter kleine Dampfwolken aus und erntete böse Blicke von zwei nicht mehr ganz jungen Müttern ein paar Tische weiter. »Und was ist mit Ihnen, Frau Reich? Darf ich Sie übrigens Lillian nennen? Ist Ihr Leben inzwischen wieder ein bisschen spannender, läuft es besser mit Ihrem Mann?« Ich spürte, wie mir die Röte ins Gesicht schoss, und zupfte an einer blonden Strähne, die mir ins Gesicht fiel. Sie war so nett und so offen, und ich log sie immer noch an. Wenn auch nur ein bisschen.
Einen Augenblick
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