Jetzt ist gut, Knut (German Edition)
jetzt kräftiger Regen, draußen war alles grau. »Wie gefällt dir übrigens der junge Mann, mit dem sie zusammen ist? Also, ich muss sagen: Chapeau! Der kommt aus gutem Stall, das merkt man gleich.«
Ich hatte den Anschluss verpasst. »Entschuldige, ich war mit meinen Gedanken woanders. Wer ist mit wem zusammen?« – »Na, Julia. Deine Tochter.« – »Julia hat keinen Freund.« – »Unsinn. Sie hat ihn uns doch kürzlich vorgestellt!« Fast wäre mir die Kaffeetasse aus der Hand gefallen. »Elisabeth? Was ist denn? Schmeckt der Kaffee nicht?« – »Mal ganz langsam, Mama. Wie war das? Julia war bei euch und hat einen Freund mitgebracht?« – »Aber ja, das sage ich doch. Er ist wohl ein Kollege aus Zürich. Wie gesagt, ein ganz reizender junger Mann namens Andreas. Die beiden haben ganz schön geturtelt.«
So muss es sich anfühlen, wenn man einen Schlag in die Magengrube bekommt. Meine unnahbare Tochter hatte einen Freund und hielt es nicht für nötig, mir davon zu erzählen, geschweige denn ihn uns vorzustellen. Stattdessen brachte sie ihn zu ihrer Oma. Wir waren offenbar gerade gut genug, um ihren blöden Köter zu versorgen.
»Wenn sie es noch nicht getan hat, wird sie dir sicher noch von ihm erzählen, Kind.« – »Wann? Wenn das erste Kind da ist und sie einen Babysitter braucht?« Ich war so wütend, ich konnte kaum sprechen. »Nun übertreib doch nicht gleich. Vielleicht wollte sie ihm einfach nur …« – sie suchte nach Worten – »… ein repräsentatives Zuhause zeigen.« Wie bitte? Sollte das heißen, Knut und ich waren nicht vorzeigbar? Ich bemühte mich, normal zu sprechen. »Was willst du damit sagen?« – »Na ja, nun sei bitte nicht beleidigt, aber diese Wohnung, die ihr da habt, und wenn du diesen eleganten jungen Mann gesehen hättest – also, ich kann Julia schon verstehen.« Das war ja wohl die Höhe! »Hör mir mal gut zu, Mutter, wir sind vielleicht einfache Leute mit einer einfachen Wohnung, aber wir leben schließlich nicht in einer Höhle!« – »Nein, natürlich nicht, das sagt doch niemand. Aber ich denke, dass Julia einfach ein bisschen Eindruck machen wollte bei diesem Andreas. Das ist doch nicht schlimm.« – »Du hast Knut nie gemocht!« – »Das stimmt nicht, Elisabeth, Knut ist ein netter Mann. Auch wenn ich mir für dich ein anderes Leben gewünscht hätte.« – »Darf ich dich daran erinnern, dass du mal einen Installateur geheiratet hast und ohne Papas Erfindung heute selbst noch in einer kleinen Wohnung leben würdest?« – »Ich habe eben einen Mann mit Potential geheiratet!« Inzwischen zischten wir wie zwei Schlangen im Nahkampf. »Was man von dir nicht behaupten kann!« – »Das reicht!« Ich knallte Geld auf den Tisch. »Nimm bitte ein Taxi zum Hotel. Ich möchte dir nicht noch einmal zumuten, neben deiner Versagertochter in ordinären öffentlichen Verkehrsmitteln sitzen zu müssen!«
Ich rauschte aus dem Café, sah durch das Fenster noch Mutters erstaunten Gesichtsausdruck und rannte förmlich zur U-Bahn.
Unsere Wohnung war leer. Nur Paul und Paula strichen mir um die Beine, als ich meinen nassen Mantel an die Garderobe hängte. An die billige Garderobe vom schwedischen Möbelhaus. Ich ging in das kleine Wohnzimmer und setzte mich aufs Sofa. Auf das uralte Sofa mit dem abgewetzten blauen Plüschbezug. Starrte auf die hellgelben Raufasertapeten, die seit Jahren nicht mehr frisch gestrichen worden waren. Auf den billigen Kunstdruck von van Goghs Sternennacht , der bestimmt schon zehn Jahre über der Kommode hing. Jedes Detail unseres Zuhauses sah ich mit den Augen meiner Mutter – und mit den Augen von Julia. Ich konnte nichts dagegen tun.
Es war nicht zu übersehen. Diese Wohnung war verlebt und schäbig.
Irgendwann hörte ich Knut nach Hause kommen. Herkules kläffte aufgeregt, kurz darauf drang aus der Küche leise das Prasseln von Trockenfutter im Metallnapf. Dann stand Knut im Schlafzimmer. »Lilli, was machst du im Bett?« – »Kopfschmerzen.« In Wahrheit lag ich nicht im, sondern auf dem Bett und hatte mir die Tagesdecke über den Kopf gezogen. So bald wollte ich der Welt nicht wieder ins Gesicht sehen. Schon gar nicht meiner eigenen Welt. Knut setzte sich auf den Bettrand. »Hast du schon eine Tablette genommen? Soll ich dir eine holen?« – »Lass mich einfach hier liegen«, murmelte ich ins Kissen. »Aber wir müssen doch nachher zum Essen mit deinen Eltern. Hey, Lilli, komm schon, lass dich nicht so hängen. Wo ist eigentlich deine
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