Jetzt ist gut, Knut (German Edition)
Aber mit dem Nachhall eines ganzen Vogelschwarms. Meine Knie wurden weich, mein ganzer Körper kribbelte. Und meine Wange glühte, als hätte ich sehr lange in der Sonne gelegen.
Klar, ich hätte jetzt ganz schnell ein paar kluge Dinge von mir geben sollen. So was wie »Irland, das Land der Mythen und Burgen, wie interessant!« oder wenigstens »Irland, aha, deshalb der irische Wolfshund«. Aber ich litt an einer akuten Wortfindungsstörung. Über meine plötzlich trockenen Lippen kam kein Laut, der den Bann des Augenblicks hätte brechen können. Vielleicht hatte mein Hirn eine eingebaute Sprechschutzfunktion, die mich davon abhielt, den fremden Geist in mir sagen zu lassen: »Zu mir geht nicht, also zu dir.«
»Hallo? Lilli? Bist du noch da?« Tim hatte seine gefährlichen Finger zurückgezogen und wieder um sein Bierglas gelegt. »Äh, ja.« Noch nicht sehr eloquent, aber das waren doch schon so etwas wie Worte. Ich räusperte mich. Trank einen großen Schluck Bier. Und brachte es fertig zu sagen: »Ich muss dann auch mal wieder los.«
8. Oktober
Best-of
Worst-of
Keine Ahnung! Ich bin total durcheinander.
Knut redet immer noch nicht mit mir. Als ich nach Hause kam, bestellte er sich gerade eine Pizza. Er hat mich nicht mal gefragt, wo ich war. Die Pizza hat er sich dann vor dem Fernseher reingezogen, in Gesellschaft Tausender toter Soldaten. Ich muss sagen, die Kriegsdoku passte prächtig zu der Stimmung in der Wohnung.
Jetzt liegt er im Bett und schnarcht. Ich werde heute in Julias altem Zimmer schlafen, im Moment kann ich den Gedanken, neben Knut zu liegen, einfach nicht ertragen. Ich fühle immer noch Tims Berührung auf meiner Wange. Tim. Ich will nicht an ihn denken, aber ich kann nicht anders. Mein Gott, ich bin sechsundvierzig, nicht sechzehn, das kann doch nicht wahr sein!
Wahrscheinlich bin ich nur deshalb so empfänglich für ihn, weil in meinem Leben im Moment so viel schiefläuft. Da ist Mama mit ihren ewigen Vorwürfen und ihrer Arroganz. Und keine Tina in der Nähe, mit der ich über sie lästern kann. Tina kann meine Mutter und ihren blasierten Tonfall perfekt nachahmen. Was haben wir früher darüber gelacht! Tina fehlt mir. Das mit Julia und ihrem Freund hätte sie garantiert genauso mies gefunden wie ich. Ich fühl mich von Julia total verraten, egal, was Knut sagt. Und meinen reizenden Gatten würde ich am liebsten zum Teufel schicken.
Warum bin ich eigentlich nicht die Bezaubernde Jeannie ? Dann könnte ich kurz mit den Augen zwinkern und – zack, schon wäre ich nicht mehr Lilli, sondern … ich weiß nicht mal, wer ich eigentlich sein will. Vielleicht jemand wie Marie-Anne. So selbstbewusst, so mondän, so unabhängig. Marie-Anne hat bestimmt kein Problem mit ihrer Führungsenergie. Und wieder denke ich an Tim. An seine Hand auf meiner Wange und an seinen Blick. Das ist einfach kindisch! Zumal ich da bestimmt viel zu viel reininterpretiere. Was sollte ein Mann wie Tim von einer Frau wie mir wollen?
Und wenn doch?
Würde ich Knut verlassen?
Um mit den Wölfen zu heulen?
Alles Stuss.
»Ihn zu verlassen ist ja vielleicht nicht gleich nötig. Manchmal reicht auch eine Auszeit, um eine Ehe wieder in Schwung zu bringen.« Es war Sonntagabend. Ich saß mit Marie-Anne bei einem Italiener in der Altstadt. Nein, ich hatte sie nicht angerufen. Ich hatte lediglich mein Telefon so lange hypnotisiert, bis es klingelte. Wirklich wahr. Erst hatte ich völlig widersinnig gedacht, es wäre vielleicht Tina. Aber die war es natürlich nicht. Ich freute mich trotzdem.
Voll der guten Vorsätze war ich in die Stadt gefahren. Keine Monologe diesmal, ich würde sie nicht mit meinen Sorgen belästigen. Das Restaurant hatte Marie-Anne vorgeschlagen. Und ich fragte mich schon die ganze Zeit, ob es wohl ein Zufall war, dass an sämtlichen Wänden riesige Bilder von Audrey Hepburn hingen. Durch den kleinen hellen Raum waberte der Duft von gedünstetem Knoblauch, vor mir stand ein Glas Chianti.
Tatsächlich hatte ich es die gesamte gemischte Vorspeisenplatte hindurch geschafft, nicht selbst zu reden, sondern Marie-Anne zuzuhören. Ich wusste jetzt, dass sie zweiundfünfzig Jahre zählte, keine Kinder hatte, nie verheiratet war und langsam begann, sich in Hamburg wohl zu fühlen. Sie vermisste aber die Nähe ihrer Schwester. Und sie freute sich über die Neubürger-Broschüre.
Erst als der Kellner die Pasta servierte, verlor ich ein paar klitzekleine Worte zum Thema Knut. Mehr so allgemein. Dass er mich
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