Jetzt ist gut, Knut (German Edition)
nicht verstehe. Dass ich ihn manchmal am liebsten zum Teufel schicken würde und zum allerersten Mal ganz kurz darüber nachgedacht hätte, ihn zu verlassen. Über Mutter und Julia konnte ich mit Marie-Anne schlecht sprechen. Eine schäbige Wohnung passte leider so gar nicht zur Legende der PR-Frau Lillian.
»Eine Auszeit? Wie sollte das gehen?« – »Nun, Sie wären nicht die erste Ehefrau, die aus der gemeinsamen Wohnung auszieht. Nur um dem Alltagstrott zu entkommen, nicht um sich gleich zu trennen. Glauben Sie mir, das kann in jeder Hinsicht heilsame Wirkung haben.« – »Ausziehen? Aber wohin denn?« Marie-Anne lachte schallend. »Muss ich Sie wirklich daran erinnern, dass Sie im Lotto gewonnen haben? Machen Sie was draus! Kaufen Sie sich eine schicke Wohnung – das ist, nebenbei bemerkt, auch gleich noch eine vernünftige Wertanlage. Gerade hier in Hamburg.« Was für eine verrückte Idee. Ich versuchte, mir Knuts Gesicht vorzustellen, wenn er eines Tages nach Hause käme, und ich wäre einfach weg. Und es läge nur ein Brief für ihn auf der Kommode im Flur. In diesem Brief befände sich eine Einladung. Handgeschrieben, versteht sich. Zu einem Abendessen mit anschließender Aussprache bei mir in meiner Wohnung. Der Wohnung mit den wunderschönen hellen neuen Möbeln. Mit den vielen bunten Kissen und natürlich dem Balkon samt Blick über die Elbe, wahlweise die Alster. Ich sah den gedeckten Tisch vor mir, weißes Leinen, Stoffservietten, Kristallgläser, ein feines Blumengesteck in Lila und Rot. Ich selbst trug ein fließendes helles Kleid. Samt vielleicht. Ich sah mich an die Tür gehen, öffnen … und da stand – Tim. »Habe ich Sie erschreckt?«, fragte Marie-Anne.
»Ich könnte das nicht.« Ich wusste selbst nicht genau, was ich eigentlich nicht konnte. Eine Wohnung kaufen, eine Auszeit von Knut nehmen oder mich auf Tim einlassen. Den Gedanken an Tim behielt ich für mich. »Sagen Sie nicht gleich nein, Lillian, denken Sie einfach mal in Ruhe darüber nach. Wenn Sie so weitermachen wie bisher, ohne irgendetwas zu verändern, sehe ich nicht, wie sich in Ihrer Beziehung etwas verbessern soll. Es sei denn, Sie können Ihren Mann von der Notwendigkeit einer Eheberatung überzeugen?« Ich schüttelte nur den Kopf. Frühere Freunde von uns hatten mal eine Paartherapie gemacht. »Rausgeschmissenes Geld. Entweder man liebt sich oder man liebt sich nicht« war noch der harmloseste von Knuts Kommentaren gewesen. Als die beiden sich am Ende der Therapie trennten, sah er mich nur triumphierend an. »Nehmen Sie noch einen Nachtisch?«, fragte Marie-Anne.
Vielleicht wäre alles ganz anders gekommen, hätte ich den verfluchten Nachtisch nicht gegessen. Das Tiramisu lag mir noch eine Stunde nach dem Essen wie ein Stein im Magen, und mein Bauch konnte jedem Vergleich mit einem aufgeblasenen Windsack standhalten. In der Bahn trafen mich strafende Blicke, weil ich es einfach nicht schaffte, ein ständiges Aufstoßen zu unterdrücken. Sehr unangenehm. Deshalb stieg ich Niendorf-Nord aus und beschloss, den Rest des Weges zu Fuß zu gehen. Ich hatte noch keine hundert Meter zurückgelegt, als ein wirklich mächtiger Rülpser aus mir herausbrach. Hoffentlich hatte das niemand gehört. Erschrocken sah ich mich um. Es war purer Zufall, dass ich in diesem Moment vor einer Kneipe stand und mein Blick durch das Fenster fiel. Da drinnen, an einem kleinen Tisch, saß mein Mann und streichelte die Hand einer fremden blonden Frau.
8
W as für eine Story! Da könnte man ja einen Film von machen!« Ich lächelte bescheiden. Aber die hübsche junge Frau, die mich mit ihren Bambi-Augen ansah, hatte schon recht. Die Geschichte von Lillian und Miguel, die sich 1985 während eines verheerenden Erdbebens in Mexico-City kennen- und lieben lernten, sich aus den Augen verloren und erst nach sechsundzwanzig Jahren bei einem internationalen Ärztekongress erneut trafen und verliebten, war wirklich ergreifend. »Haben Sie vielleicht noch einen Schluck Sekt für mich? Vom Erzählen habe ich einen ganz trockenen Hals.« Sie sprang auf und holte die Flasche. »Und wann genau ist die Hochzeit?«, fragte sie, während sie mein Glas nachfüllte. – »In vier Wochen. Sie verstehen sicher, dass ich mir ein ganz besonderes Kleid wünsche. Ich dachte an gedecktes Weiß. Für Reinweiß bin ich denn doch schon ein bisschen zu alt, nicht wahr? Oder vielleicht doch etwas Farbiges?«
Der bequeme kleine Zweisitzer, auf dem ich saß, stand zwischen zwei
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