Jetzt mal Butter bei die Fische
was besser sein könnte.
Norbert, 37, Rechtsanwalt
Norbert war bisher zwar sehr erfolgreich in seinem Beruf, aber der bot ihm keine Herausforderungen mehr; er wollte jetzt etwas verändern. Er hatte überhaupt keine Ahnung, in welche Richtung er gehen wollte. Am liebsten hätte er von mir konkrete Ratschläge gehabt, die ich ihm nicht geben konnte. Seine Gedanken kreisten ausschließlich um die Frage, was er besonders gut konnte. Und ich fragte ihn, was er denn am liebsten tun wollte. Darauf hatte er keine Antworten. »Ich könnte für ein Unternehmen arbeiten oder in eine größere Kanzlei eintreten.« – »Wollen Sie das denn?« – »Ich weiß nicht.«
Ich versuchte deshalb, den Fokus zu erweitern, und bat ihn, mir zu erzählen, was ihn generell interessierte und was er sich für sein Leben wünschte. Er hatte auch darauf keine Antworten. Ihm war bisher gar nicht bewusst, wie wenig er über sich selbst wusste! Früher, vor dem Studium, war dies anders gewesen – damals hatte er viele Hobbys und Interessen, verbrachte viel Zeit mit ganz unterschiedlichen Menschen. Aber jetzt drehte sich sein Leben zu einem großen Teil um seine Arbeit. Privat kannte er fast nur noch andere Juristen. Norbert hatte Freunde, eine funktionierende Beziehung und fuhr gelegentlich in den Urlaub. Aber er empfand sein Leben als »irgendwie eingefroren«. Erst in unseren Gesprächen realisierte er, dass er schon lange Zeit den Kontakt zu seinen Wünschen, Impulsen und Interessen verloren hatte.
Um zu wissen (und zu bekommen), was ich will, muss ich meine Aufmerksamkeit in zwei Richtungen lenken: Ich muss wahrnehmen, welche Bedürfnisse ich in mir habe. Und ich brauche ein klares Bild davon, welche Angebote meine Umgebung mir macht. Wenn ich Hunger spüre, muss ich erst einmal wissen, worauf ich Appetit habe, und mich dann umschauen, welche Speisen gerade verfügbar sind. Menschen, deren Wahrnehmung eingeschränkt ist, wissen zwar, dass sie hungrig sind – aber nicht, was ihnen jetzt schmecken könnte. Und sie können vor einem Büfett verhungern, weil der Abstand viel zu groß ist, sie nicht erkennen, welche Köstlichkeiten dort sind, und sie trotzdem nicht näher herangehen.
Warum ist das so? Wie können wir den Kontakt zu unseren Wünschen und Bedürfnissen so sehr verlieren? Bei den Menschen mit diesem Problem, die ich bisher traf, habe ich deutliche Parallelen festgestellt: Sie sind beruflich schon lange sehr stark engagiert und erfolgreich, folgen gängigen Karrierestufen wie auf Autopilot, haben beruflich wie privat wenig Abwechslung und eher wenige soziale Kontakte. Sie leben ihr Leben wie ein Komparse, nicht wie ein Regisseur – oder wie ich es Ihnen bereits erklärte: Sie weisen ein sehr geringes Maß an Selbstwirksamkeit auf. Ihr Alltag ist meist »durchgetaktet« und bietet kaum Freiraum für spontane Entscheidungen, und sie haben die Neigung, alles schnell und nach einem bestimmten System zu erledigen. Ich hatte bei jedem von ihnen den Eindruck, dass sie beim Eintritt in das Berufsleben ihre Wünsche, Träume und Bedürfnisse am Eingang abgegeben und sich dann nicht mehr darum gekümmert habe – als wären sie Teil einer Maschinerie geworden, die ihnen die Orientierung abgenommen hat.
Das klingt dramatisch – und das ist es in meinen Augen auch. Denn im Kern dieser reaktiven Haltung steht wahrscheinlich so etwas wie: »Was ich fühle, brauche und will, ist nicht wichtig.« Und wenn jemand diesem Skript über Jahrzehnte folgt, ist es extrem unwahrscheinlich, dass er damit glücklich wird.
Herbert Grönemeyer hat einmal gesungen »Sehnsucht kann man, zum Glück, nicht verlernen« – aber man kann sie verbuddeln und vergessen. Bis man eines Tages, wie Norbert, merkt, dass etwas fehlt, und feststellt: »Ich habe überhaupt keine Ahnung, was ich eigentlich will!« Damit ist der erste, wichtige Schritt getan. Ich habe allerdings die Erfahrung gemacht, dass hier schon die erste Gefahr lauert: Viele Menschen denken nämlich – eilig und strukturiert, wie sie sind – dass man mit den richtigen Techniken ganz schnell eine Lösung herbeiführen kann. Ein paar Psychotests, einige Tricks und Kniffe, und schon weiß man, was man will. Das kann natürlich nicht funktionieren, denn genau diese Denke hat das Problem ja einmal geschaffen! Den Zugang zu verschütteten Wünschen und Bedürfnissen können wir nur sehr langsam finden und freilegen.
Für Norbert war dies ein langer Weg: Nachdem er erkannt hatte, wie viel für ihn und
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