Jetzt tanzen alle Puppen - Aus dem Alltag einer Comedy-Fachfrau
Eselsmilch oder Stutenharn? Nehmen wir als Vorspeise die frittierten Froschschenkel oder lieber die sautierte Singvogelvorhaut? Und welches der zahlreichen männlichen Unterwäschemodels zitieren wir in die Garderobe?
Soviel zum Wunschdenken. In der grauen Wirklichkeit treffen Frau Knecht und ich uns abgehetzt im Keller, um Kostüme, Requisiten, Technik, Verstärkerboxen, CDs, Bücher, Flyer und zwei-, dreitausend weitere tonnenschwere Kleinigkeiten in unseren Tourbus zu knechten. Das erfordert Muskeln und viel räumliches Denken, denn unser Tourbus ist mein Ford Ka.
Damit gurken wir dann in grieselgraue Ruhrpott-Städte und zwar mit heruntergekurbelten Scheiben, weil für unsere Arme kein Platz mehr ist. Oft regnet es und die Autobahn ist verstopft von Baustellen und Idioten. Nach ungefähr zehn Minuten beginnt Frau Knecht, italienische Flüche zu rezitieren, während ich mit meinem aus dem Fenster hängenden Arm eine Faserkanone imitiere. Endlich angekommen, erwarten uns keine kreischenden Fans und weit und breit ist kein Security Man in Sicht. Wenn doch, will er uns verjagen. Wir stehen auch nicht auf einem roten Teppich vor der Köln-Arena, sondern auf einer braunen Fußmatte vor der »Speisegaststätte Familie Brodotzki« in Bottrop. Weil in der »Speisegaststätte Familie Brodotzki« die Firmen-Weihnachtsfeier der Bottroper Beförderungsbetriebe stattfindet. Mit Buffet. Und Frau Knecht und ich sind quasi der Nachtisch. Also laden wir erst mal den Tourbus aus, die Frau Knecht und ich, müde bestaunt von zwei Handlangern der Beschallungsfirma. Der Soundcheck findet zwischen knurrigen Kellnern mit Fliege, Salatschüsseln und einem Weihnachtsbaum statt. Leider ohne Techniker, der wurde gespart. Stattdessen dreht der Oberkellner frei nach der Trial-and-error-Methode am Verstärker. Er spricht kein Wort Deutsch. Zwanzig Rückkopplungen später rezitiert Frau Knecht erneut italienische Todesflüche, aber leise. Ich verhandle derweil mit Herrn Brodotzki persönlich über den genauen Standort der Bühne. Herr Brodotzki meint, dass hinter dem Buffettisch genug Platz ist fü r – Zita t – »zwei halbe Portionen wie euch«. Ich erkläre Herrn Brodotzki, dass es aussieht wie Kasperletheater, wenn man bis zur Taille von Wurstplatten verdeckt wird. Die ersten Honoratioren der Bottroper Beförderungsbetriebe treffen ein: Vorstandsvorsitzender Lackmann nebst Gattin, Stellvertreter Dr . Richartz und Betriebsratsvorsitzender Beierlein. Frau Knecht hört auf zu fluchen und fragt, was der zweite Weihnachtsbaum im Raum soll. Ich erkläre, dass das Frau Lackmann ist, die Gattin des Vorstandsvorsitzenden. Frau Lackmann betrachtet uns aus schmalen Augen, Herr Lackmann kippt sich den ersten hinter die Binde. Sein Stellvertreter Dr . Richartz und Betriebsrat Beierlein umkreisen sich lächelnd. Frau Knecht und ich verziehen uns in die Garderobe, in unserem Fall die ungeheizte Bowlingbahn. Dort warten wir zwei Stunden frierend und hungrig auf unseren fulminanten Auftritt. Wir ziehen alberne Weihnachtsmützen an. Als wir den Raum wieder betreten, ist der einzig gutgelaunte Gast Herr Lackmann bei einem Pegelstand von circa drei Promille. Er lässt es sich nicht nehmen, uns persönlich anzumoderieren. »So, liebe Mitarbeiter, sehr verehrter Dr . Richartz, lieber Betriebsra t – Beierlei n …« Beierlein nickt gezwungen lächelnd. »Jetzt ham wir hier zum Nachtisch zwei ›escht kölscher Mädsches‹. Lecker, lecker die beiden, ein Augenschmaus, könnt man so vernaschen, die zwei!« Er klatscht. Auftritt Frau Knecht und ich in eisigem Schweigen auf dem freigeräumten Stückchen Boden vor dem Schnapsschrank. Betriebsrat Beierlein lehnt sich zurück und sinniert über seine Rede. Dr . Richartz denkt darüber nach, wie er die Rede torpedieren kann. Frau Lackmann überlegt, wie sie uns umbringen kann, ohne Spuren zu hinterlassen, die meisten anderen Gäste stehen auf und gehen raus zum Rauchen. Frau Knecht und ich eröffnen mit Witzen über unsere albernen Weihnachtsmützen. Herr Lackmann, mittlerweile bei fünf Promille angekommen, vergleicht unsere Weihnachtsmützen mit einem gefüllten Pariser. Frau Lackmann zischt »Horst, bitte« und guckt uns an wie Schneewittchens Stiefmutter. Dem Briefing von Lackmanns Sekretärin folgend machen wir Gags über Lohndumping und Outsourcing. Herr Lackmann lacht, laut und herzhaft. Betriebsrat Beierlein greift zitternd zum Weinglas und trinkt hastig. Die Belegschaft guckt zum lachenden Herrn Lackmann
Weitere Kostenlose Bücher