Jetzt tu ich erstmal nichts - und dann warte ich ab
ist ein Horoskop für
Möbel. Darf ich mal fragen, wo in Ihrem Büro der Schreibtisch steht? Vor dem Fenster? Das ist ganz schlecht! In Ihr Büro strömen doch jeden Tag Kunden,
Kollegen und Mitarbeiter. Deshalb müssen Sie Ihren Schreibtisch direkt vor die Türe stellen, damit die negativen Energien erst gar nicht herein
kommen!
Was nehme ich jetzt denn nun? »Den Wandel gestalten mit Basmati-Reis« oder »Beteiligte betroffen machen mit Brennnesseltee?« Jetzt habe ich es. Ich
nehme das Seminar für alte 68er: »Vom LSD zum DSL …«
Zum Glück gibt es auch ernst zu nehmende Ratgeber, die sich sogar konkret der Prokrastination widmen. So lädt uns der Psychoanalytiker
Hans-Werner Rückert ein in sein BAR-Programm.
B wie Bewusstheit,
A wie Aktion und
R wie Rechenschaft.
Diese griffige Formel erlaubt es, das mentale Handwerkszeug zur Überwindung von Arbeitsblockaden jeder Zeit bei sich zu tragen. Im
ersten Schritt erschafft man Bewusstheit, indem man der Wahrheit ins Auge sieht: Ja, ich vertage es schon wieder, ein wichtiges Projekt
voranzutreiben. Das kann ich drehen und wenden wie ich will. Im Ergebnis vermeide ich es, anzufangen, um mir unangenehme Gefühle zu ersparen. Da hilft im
zweiten Schritt nur die wohl dosierte Aktion. Was muss ich wie lange tun, um ein Stück weiter zu kommen? Damit diese Phase nicht im guten Vorsatz stecken
bleibt, schlägt die Stunde der Wahrheit ein zweites Mal, wenn man sich nach der Aktion selbst Rechenschaft über das Erreichte gibt.
Das Autoren-Tandem Kathrin Passig und Sascha Lobo (Passig, Lobo 2008) vertritt die Auffassung, dass unser lustorientiertes Schieben als normal bewertet
werden sollte, während die Gesellschaft mit ihrem Leistungswahn vollkommen überzogene Forderungen an uns stellen würde. Die Chiffre LOBO dient hier auch
als Abkürzung für den verteidigten Lifestyle of Bad Organization . Das Kompendium verheißt im Titel den Weg, wie wir »Dinge geregelt kriegen ohne
einen Funken Selbstdisziplin«. Mit ihren ketzerischen Thesen schlachten sie so manche heilige Kuh der Aufschiebe-Forschung:
Schreckensszenarien . Das Ausmalen düsterer Konsequenzen erweise sich laut klinischer Beobachtungen nicht als erfolgreich.
Angstlösende Medikamente führten bei amerikanischen Studenten nicht zur Verbesserung ihrer Arbeitsprobleme.
Bewährte Prokrastinationstätigkeiten über Bord werfen führe nur zu neuen Ersatzbefriedigungen, die an die Stelle der alten treten. Schlimmer
noch: Bis man den bisherigen Arbeitslevel erreicht hätte, würden Wochen vergehen.
Gleich ab morgen alles anders machen . Die Gute-Vorsätze-Forschung hätte belegt, dass vier bis fünf Anläufe für eine Verhaltensveränderung nötig
seien.
Der eher lustbetonte Ansatz dieser Autoren ist ein würdiger Abschluss für den ersten Teil dieses Buches. Ich habe versucht, für den
Spaß zu werben, den Aufschieben als wohl dosiertes Genussmittel bringen kann. Im zweiten Teil möchte ich für jene, bei denen bereits die Katerstimmung
ausgebrochen ist, die Lust am Anschieben wecken.
Teil 2
Vom Aufschieben zum Anschieben
Burn in statt Burnout
Ein Gespenst geht um in Europa. Es ist das Gespenst des Burnouts. Wenn sich im Frühjahr 2010 die drei großen deutschen
Nachrichtenmagazine dem gleichen Themenfeld annehmen (Burnout, Perfektionismus), dann ist das Thema in der Mitte der Gesellschaft angekommen. In dem zur
gleichen Zeit veröffentlichten Brief an mein Leben beschreibt die Medienwissenschaftlerin Miriam Meckel eindrucksvoll, wie sich das
Ausgebrannt-Sein anfühlt. Und wo es sie hingeführt hat. In einer therapeutischen Einrichtung wird sie zu fleißigem Nichtstun verdonnert. Das
Entzugsprogramm für Workaholics.
Vom Burnout-Syndrom besonders betroffen sind Berufe wie Lehrer, Manager, Sozialarbeiter und Heimerzieher. Als der Begriff Burnout im Jahre 2007 noch
weniger bekannt war, fühlten sich bei Umfragen fast nur Vertreter der Ober- und Mittelschicht davon betroffen. Heute ist das Etikett für den dauerhaften
Erschöpfungszustand auf allen soziologischen Ebenen bekannt. Aktuelle Erhebungen bestätigen nun, dass der Burnout in allen Einkommensklassen zu finden
ist.
Ich möchte Sie bitten, den von mir eingeführten Begriff »Anschieberitis« weithin bekannt zu machen. Mit etwas Glück werden sich bald weite
Bevölkerungsteile damit identifizieren können.
Der sogenannte Burnout ist (noch) keine anerkannte Krankheit. Herbert Freudenberger, ein
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