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Jetzt tu ich erstmal nichts - und dann warte ich ab

Jetzt tu ich erstmal nichts - und dann warte ich ab

Titel: Jetzt tu ich erstmal nichts - und dann warte ich ab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malte Leyhausen
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geh’ in die weite Welt und sage keinem
Menschen, wo du her bist und wer dein Vater ist, denn ich muss mich deiner schämen.«
    – »Ja, Vater, wie Ihr’s haben wollt; wenn Ihr nicht mehr verlangt, das kann ich leicht in Acht behalten.«
    Als nun der Tag anbrach, steckte der Junge seine fünfzig Taler in die Tasche, ging hinaus auf die große Landstraße und sprach immer vor sich hin:
»Wenn ich mich nur fürchten könnte! Wenn ich mich nur fürchten könnte!«
    Da kam ein Mann heran, der hörte das Gespräch, das der Junge mit sich selber führte, und als sie ein Stück weiter waren, dass man den Galgen sehen
konnte, sagte der Mann zu ihm: ,,Siehst du, dort ist der Baum, wo siebene mit des Seilers Tochter Hochzeit gehalten haben und jetzt das Fliegen lernen,setz’ dich darunter und warte, bis die Nacht kommt, so wirst du schon das Fürchten lernen.«
    – ,,Wenn weiter nichts dazu gehört«, antwortete der Junge, ,,das ist leicht getan. Lerne ich aber so geschwind das Fürchten, so sollst du meine
fünfzig Taler haben; komm’ nur morgen früh wieder zu mir.«
    Da ging der Junge zu dem Galgen, setzte sich darunter und wartete, bis der Abend kam. Und weil ihn fror, machte er sich ein Feuer an; aber um
Mitternacht ging der Wind so kalt, dass er trotz des Feuers nicht warm werden wollte. Und als der Wind die Gehenkten gegeneinander stieß, dass sie sich
hin und her bewegten, dachte er: »Du frierst unten bei dem Feuer, was mögen die da oben erst frieren und zappeln.« Und weil er mitleidig war, legte er
die Leiter an, stieg hinauf, knüpfte einen nach dem andern los und holte sie alle siebene herab. Darauf schürte er das Feuer, blies es an und setzte sie
ringsherum, dass sie sich wärmen sollten. Aber sie saßen da und regten sich nicht, und das Feuer ergriff ihre Kleider. Da sprach er: »Nehmt euch in
Acht, sonst häng’ ich euch wieder hinauf.«
    Die Toten aber hörten nicht, schwiegen und ließen ihre Lumpen fortbrennen. Da ward er böse und sprach: ,,Wenn ihr nicht achtgeben wollt, so kann ich
euch nicht helfen. Ich will nicht mit euch verbrennen«, und hängte sie nach der Reihe wieder hinauf. Nun setzte er sich zu seinem Feuer und schlief ein,
und am andern Morgen, da kam der Mann zu ihm, wollte die fünfzig Taler haben und sprach: »Nun, weißt du jetzt, was Fürchten ist?«
    – »Nein«, antwortete er, ,,woher sollt’ ich’s wissen? Die da droben haben das Maul nicht aufgetan und waren so dumm, dass sie die paar alten
Lappen, die sie am Leibe haben, brennen ließen.«
    Da sah der Mann, dass er die fünfzig Taler heute nicht davontragen würde, ging fort und sprach: »So einer ist mir noch nicht vorgekommen.«
    Der Junge ging auch seines Wegs und fing wieder an, vor sich hin zu reden: »Ach, wenn ich mich nur fürchten könnte! Wenn ich mich
nur fürchten könnte!«
    Das hörte ein Fuhrmann, der hinter ihm her schritt, und fragte: »Wer bist du?«
    – »Ich weiß nicht«, antwortete der Junge.
    Der Fuhrmann fragte weiter: »Wo bist du her?«
    – »Ich weiß nicht.«
    – »Wer ist dein Vater?«
    – »Das darf ich nicht sagen.«
    – »Was brummst du beständig in den Bart hinein?«
    – »Ei«, antwortete der Junge, »ich wollte das Fürchten lernen, aber niemand kann es mich lehren.«
    – »Lass dein dummes Geschwätz«, sprach der Fuhrmann, »komm’, geh’ mit mir, ich will sehen, dass ich dich unterbringe.« Der Junge ging mit dem
Fuhrmann, und abends gelangten sie zu einem Wirtshause, wo sie übernachten wollten. Da sprach er beim Eintritt in die Stube wieder ganz laut: »Wenn ich
mich nur fürchten könnte! … nur fürchten könnte!«
    Der Wirt, der das hörte, lachte und sprach: »Wenn dich danach lüstet, dazu sollte hier wohl Gelegenheit sein.«
    – »Ach, schweig’ stille«, sprach die Wirtsfrau, »so mancher Vorwitzige hat schon sein Leben eingebüßt; es wäre jammerschade um die schönen Augen,
wenn die das Tageslicht nicht wieder sehen sollten.«
    Der Junge aber sagte: »Wenn’s noch so schwer wäre, ich will’s einmal lernen, deshalb bin ich ja ausgezogen.« Er ließ dem Wirt auch keine Ruhe, bis
dieser erzählte, nicht weit davon stünde ein verwünschtes Schloss, wo einer wohl lernen könnte, was Fürchten wäre, wenn er nur drei Nächte darin wachen
wollte. Der König hatte dem, der’s wagen wollte, seine Tochter zur Frau versprochen, und die wäre die schönste Jungfrau, die die Sonne beschien; in dem
Schlosse steckten auch große Schätze, von bösen Geistern bewacht,

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