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Jetzt wirds ernst

Jetzt wirds ernst

Titel: Jetzt wirds ernst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Seethaler
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lachen. Es war idiotisch, doch ich schmiss den Kopf in den Nacken und brüllte los vor Lachen. Dabei breitete ich die Arme aus und fing an, mich zu drehen. Oder drehte sich die Umgebung um
mich? Der Himmel verengte sich zu einem rasenden, likörblauen Wirbel, der sich über mir senkte und mich mitriss. Ich verlor das Gleichgewicht und taumelte zu Boden. Wumm! Ein heller
Blitz. Ein scharfer Schmerz im Hinterkopf. Ein grellweißes, alles durchdringendes Licht. Plötzlich Dunkelheit. Absolute Finsternis. Aus.
    Es dauerte nur einen Augenblick, und ich war wieder da. Ich wälzte mich zur Seite, hob den Kopf und versuchte mich zu orientieren. Ich lag direkt an einem eingetretenen Zaun, dahinter eine
Brache, Schutthaufen, Baggerspuren, eine rostige Schubkarre, Dreck, Abfall und eine windschiefe Bretterhütte. Irgendwie kam mir das alles bekannt vor. Und dann fiel es mir wieder ein: Hierher
hatte ich mich nach Tinkas Überfall in der Turnhalle geflüchtet. Damals hatte hier noch eine Taube mit einem klaffenden Loch im Hals gelegen. Jetzt lag ich hier.
    In meinem Bauch grollte es dumpf. Ein neuer Schwindel erfasste mich. Gleichzeitig wurde mir eiskalt, und ich begann am ganzen Körper zu zittern. Ich sah mich um. Der Zaun war an einer
Stelle in Bodennähe aufgebogen. Aus irgendeinem Grund kam mir diese Lücke wie meine Rettung vor, der einzig mögliche Ausweg. Ich robbte unter dem Maschendraht durch und spürte
undeutlich, wie sich mein Hemd im Draht verfing und wie die Spitzen tiefe Furchen in meinen Rücken ritzten. Aber ich kam durch, rappelte mich hoch und wankte zur Bretterhütte
hinüber. Die Tür hing schief in den Angeln und knirschte laut, als ich sie aufstieß. Drinnen war es stockdunkel. Langsam und blind schob ich mich voran, stieß plötzlich
mit dem Fuß an etwas Großes, Weiches und erstarrte. Vorsichtig bückte ich mich und tastete das Ding mit den Fingern ab. Eine Matratze.
    Ich ließ mich einfach nach vorne fallen. Die Matratze war kühl und feucht, außerdem stank sie nach Fäulnis und Urin. Vielleicht war es auch nur mein eigener Gestank, der
mir in die Nase stieg. Es machte keinen Unterschied mehr. Ich lag da. Alleine und in Sicherheit. Unter mir war es weich, um mich herum dunkel. Ich schloss die Augen. Einen Moment lang hatte ich das
Gefühl, die Matratze würde sich bewegen, vom Boden abheben, zu schlingern und zu schaukeln beginnen. Es war eine Täuschung.

EIN HAUFEN ALTER FETZEN
    Ein Geräusch. Ein leises Trippeln. Ein Zucken. Ein winziger Blitz auf der Netzhaut. Wieder das Trippeln. Und irgendwoher ein leises Stöhnen. Ein heiseres
Röcheln. Grauenhafte, viehische Laute. Ein Schauder durchläuft den Körper. Es ist mein Körper. Mein Stöhnen. Mein Röcheln. Es sind meine Schmerzen.
    Nur ganz langsam tröpfelte die Erinnerung in mein aufgeweichtes Hirn zurück. Die Premiere. Lotte und Max. Die blaue Flasche. Mein Ertrinken darin.
    Ich blinzelte. Versuchte mich zu orientieren. Eine Schmerzwelle schoss mir in den Kopf, ebbte wieder ab, kam wieder. Gleichzeitig war mir kotzübel und der eigene Pulschlag dröhnte mir
in den Ohren. Dazu ein weiterer, stechender Schmerz am Hinterkopf. Vorsichtig fasste ich nach hinten, ertastete eine verklebte, blutige Wunde. Plötzlich wieder dieses Geräusch. Ein leises
Trippeln. Direkt über mir. Eine Taube. Ihre tote Kollegin fiel mir wieder ein. Die zarte Bewegung der Feder im Wind. Die Brache. Der Zaun. Die Hütte.
    Und auf einmal wusste ich wieder, wo ich war.
    Ich nahm meine ganze Kraft zusammen und setzte mich auf. Ich saß auf einer schmierigen Matratze. Sie war feucht und die Ecken sahen irgendwie angebissen aus. Über die grünlichen
Flecken wollte ich gar nicht weiter nachdenken. Sie lag genau in der Mitte der Hütte. Durch die Ritzen zwischen den Wandbrettern und im Dach fiel das Sonnenlicht, der ganze Raum war durchzogen
von schmalen, staubflirrenden Lichtstreifen. Der Boden bestand einfach nur aus flach getrampelter Erde, übersät von undefinierbarem Unrat. Von der Decke baumelten verschiedene
Behälter: Dosen, Plastikeimer, Blechnäpfe, Kochtöpfe und so weiter. Das Zeug hing da oben wie ein riesiges Mobile. In einer Ecke stand ein schiefer Einkaufswagen, bis obenhin
gefüllt mit leeren Flaschen. Im Halbdunkel einer anderen Ecke lag ein aufgetürmter Haufen alter Fetzen. Es stank fürchterlich. Ein Gemisch aus feuchter Erde, Pisse und Bier.
Offensichtlich war ich im Suff genau dahin gekommen, wo ich hingehörte.
    In dem Moment

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