Jetzt wirds ernst
erstarrte ich: Der Haufen in der Hüttenecke fing an sich zu bewegen! Zuerst war es nur eine kleine Bewegung, kaum zu sehen. Ein Luftzug, der sich in einem der Fetzen verfangen
hatte. Aber plötzlich kam der ganze Haufen in Bewegung, schien sich auszudehnen und auf seltsame Weise zu recken und zu strecken. Dazu gab er Töne von sich. Unmenschliche Geräusche.
Heiseres Husten. Keuchen. Schnaufen. Ich versuchte aufzuspringen, rutschte aus, plumpste auf die Matratze zurück. Das Ding in der Ecke schmatzte, knurrte und gähnte. Dann schüttelte
es ein paar seiner Fetzen ab und brach aus dem Haufen heraus.
Gliedmaßen kamen zum Vorschein, in dreckige Tücher gewickelte Hände, Arme, Beine, Füße. Erst ganz zum Schluss erkannte ich einen Kopf. Im Grunde genommen war es nur
ein verfilzter Haarbusch mit einer winzigen Gesichtslichtung, aus der zwei glänzend schwarze Augen herausblinzelten.
Der Mann sah mich an, nickte, kam einen Schritt auf mich zu. Dabei verschwand seine rechte Hand in den Fetzen an seinem Körper und schien etwas zu suchen. Alles in mir spannte sich an. Ich
konnte mich kaum rühren, saß wie festgeklebt da und krallte meine Finger in den feuchten Stoff.
Die Hand kam mit einer kleinen Schnapsflasche wieder zum Vorschein. Er trank einen Schluck, ließ sie wieder verschwinden und blinzelte auf die Matratze hinunter.
»’n gutes Bett, was?«
Seine Stimme klang wie das Knarren eines morschen Baumes, jedes Wort war ein weiterer Riss im saftlosen Holz.
»’n Paar heiße Tage und es ist auch wieder trocken!«
Langsam bewegte er sich weiter auf mich zu. Seine Schritte waren klein, vorsichtig, tastend. Mitten im Raum blieb er wieder stehen. Ich konnte seinen leise röchelnden Atem hören. Und
das Trippeln der Taube über uns.
Plötzlich schleuderte er blitzschnell seine Fetzen von den Füßen und schlüpfte mit einer fast katzenhaften Behändigkeit aus seinen Lumpen. Der Alte stand splitternackt
da.
Ich sah, wie sich die Haut um seine Augen in tiefe Falten legte. Sein ganzes Gesicht schien aufzubrechen wie ein trockener Acker.
Auf einmal hob er den Arm, griff sich einen der Blecheimer, die von der Decke hinge und kippte ihn genüsslich über seinem Kopf aus. Das Wasser musste saukalt sein, aber offensichtlich
war er daran gewöhnt. Prustend, schnaubend und gurgelnd ließ er es sich über das Gesicht laufen. Die Haare hingen in langen, grauen Strähnen über den knochigen Schultern.
Der Dreck lief in dünnen Rinnsalen an ihm hinab, die verfilzten Brusthaare lösten sich, von seinem Sack purzelten dunkelbraune Tropfen.
Dann der nächste Eimer. Diesmal kippte er sich das Wasser in einem einzigen Schwall über. Ein Schauder durchfuhr seinen Körper, überall stellten sich die Härchen auf,
kleine, silbrige Stoppeln. Als nächstes war ein verbeulter, leicht angerosteter Topf dran. Der Alte prustete und kicherte vor Vergnügen. Ein Schwall nach dem anderen ergoss sich über
den ausgemergelten Körper. Den Inhalt der letzten Blechdose schüttete er sich direkt in den Mund, legte den Kopf in den Nacken, gurgelte laut und spuckte einen hohen Strahl gegen die
Bretterwand, dass es nur so klatschte.
Triefend stand der Alte da. Ein Sonnenstrahl aus einer der Bretterritzen fiel genau auf sein Gesicht. Er hatte die Augen geschlossen. Unter seinen Lidern bewegten sich die Augäpfel wie
flinke Käferchen. Sein dürrer Brustkorb hob und senkte sich immer langsamer, sein Atem wurde ruhiger und tiefer.
Plötzlich öffnete er die Augen, setzte sich in Bewegung, lief gebückt durch die Hütte, sammelte seine Lumpen ein und zog sie an, ohne sich abzutrocknen.
Schnell rappelte ich mich hoch. Ich wollte die Gelegenheit nutzen, um möglichst unauffällig abzuhauen. Sofort war er bei mir.
»Du bleibst doch noch, oder?«, fragte er. Seine Augen glänzten wie schwarze Metallknöpfe. Ich nickte zögerlich.
»Hab nicht viel Gesellschaft hier. Manchmal ’n paar Ratten. Aber die zählen nicht.«
Mit einem schlürfenden Geräusch zog er seinen Speichel zusammen und spuckte verächtlich auf den Fußboden. Darauf trat er einen Schritt auf mich zu und legte mir seine Hand
auf die Schulter. Er stank nach feuchten Fetzen und Schnaps. Aus seinen Nasenlöchern ragten lange, graue Haare, die leicht zitterten, wie dürre Ästchen im Herbstwind.
»Wie alt bist du?«, fragte er.
»Sechzehn!«, antwortete ich.
Ich spürte, wie seine Hand schwerer wurde. Es fühlte sich an, als ob jemand ein Sechs-Kilo-Steak auf meiner
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