Jezebel
gesagt, um dir Zeit zu geben, dein Zimmer von all dem widerlichen Zeug zu befreien. Wenn Großvater zurückkehrt, wird er bei dir nachschauen, und er will es normal vorfinden. Das heißt, ohne die verfluchten Insekten. Hast du gehört?«
»Klar.«
»Du kannst gleich damit anfangen, falls du den Kuchen nicht ißt. Ich muß noch etwas besorgen und werde spätestens in einer Stunde zurück sein.«
»Was machst du dann?« fragte Susan patzig.
»Gehe ich in dein Zimmer. Ich schaue mich dort um. Solltest du dich weigern, unserem Wunsch nachzukommen, fange ich an, dort aufzuräumen.«
Das junge Mädchen schwieg. Es hatte den Blick gesenkt. Seine Wangen bewegten sich, als wäre es dabei, auf etwas zu kauen. Dann fragte Susan: »Und das würdest du wirklich tun?«
»So wahr ich hier sitze.«
Susan nickte. »Ja, ich habe verstanden. Aber eines sage ich euch: Ihr werdet euch wundern. Du, dein Mann – alle hier in Euston. So kann man mit mir nicht umgehen. Ich bin eine Königin. Ich werde bald Jezebel sein. Ich werde dann herrschen, und ich werde es allen heimzahlen, die mir Böses gewollt haben. Auch euch!«
Erica Wade schwieg. Mit einer derartigen Antwort hatte sie nicht gerechnet. Sie holte tief Luft und merkte, wie sie innerlich zitterte. Dabei stellte sie sich die Frage, wie jemand nur so grausam gegenüber einer Person sein konnte, die in den letzten Jahren für sie gesorgt hatte.
»Ich kenne dich ja gar nicht wieder, Kind«, flüsterte sie.
»Das macht mir nichts.« Susan stand auf. »Du wirst mich erst noch kennenlernen. Auf Wiedersehen.« Die letzten beiden Worte betonte sie besonders. Dann machte sie auf der Stelle kehrt, um mit langen Schritten die Küche zu verlassen.
Erica Wade blieb starr auf ihrem Stuhl sitzen. Sie hörte, wie ihre Enkelin die Treppe hochpolterte, und das, obwohl sie Turnschuhe trug. Tief in ihrem Innern überlegte sie, ob sie nicht einen Fehler begangen hatte, aber das wollte sie nicht zugeben. Nein, es war schon alles richtig.
Noch einmal zuckte sie zusammen, als eine Etage höher die Tür zufiel.
Für sie klang es wie ein Abschied…
***
Susan Wade war wie ein Irrwisch die Treppe hochgerannt, hatte die Tür zum Zimmer aufgerissen und sich auf ihr Bett geworfen, das Gesicht im Kopfkissen vergraben, mit den Fäusten dabei auf die Bettdecke trommelnd, die sogar ein Muster aus Insekten zeigte.
Das Mädchen steckte voller Wut und Haß. Susan hatte das Gefühl, innerlich zu verbrennen. Sie konnte nicht mehr klar denken. Ihr war nur bewußt, was die Reaktion der Großeltern für sie bedeutete.
Auf keinen Fall konnte sie noch länger in diesem Haus und auch in diesem Ort bleiben. Sie mußte weg. So schnell wie möglich verschwinden.
Als ihr dies klar wurde, waren einige Minuten bereits vergangen. Susan stemmte sich vom Bett hoch. Als sie sich drehte, konnte sie einen Blick in den Spiegel werfen. Sie erschrak beim Anblick ihres eigenen Gesichts, denn es sah verquollen und auch gerötet aus. So wie sie wirkte jemand, der lange geweint hatte und noch immer unter den schrecklichen Folgen litt.
Aber das Gehirn der Vierzehnjährigen arbeitete wieder normal. Susan hatte ihrer Großmutter etwas angekündigt, und sie tat es auch. Sie zog die Konsequenzen. Susan eilte auf ihren hellen Schrank zu, riß die Tür auf und zerrte den Rucksack hervor.
In den nächsten Minuten stopfte sie alles hinein, was ihr gerade an Kleidung in die Finger kam, auch Schuhe und Unterwäsche. Schließlich war der Rucksack prall gefüllt. Das Glas mit den Insekten paßte jedoch nicht mehr hinein.
Noch immer stand es an seinem Platz. Susan betrachtete die Käfer und Würmer, und plötzlich verspürte sie einen irrsinnigen Hunger. Gerade nach diesem Streß mit der Großmutter überkam sie das Gefühl, und so öffnete sie den Deckel.
Diesmal griff sie richtig zu. Sie schaffte es, verschiedene Käfer auf einmal zu fassen. Dann öffnete sie den Mund und stopfte die Tiere hinein.
Sie kaute, sie schmatzte dabei und lauschte den knackenden Geräuschen.
Dann schluckte sie die zermalmten Tiere hinunter und kümmerte sich um die Würmer. Die eiweißhaltige Nahrung war ungemein wichtig für sie.
Wieder schaffte sie es, die Würmer mit einem Handgriff aus dem Glas zu holen und sie in den Mund zu stopfen. Es machte ihr überhaupt nichts aus, die glitschige Masse im Mund zu spüren. Für Susan war es Nahrung, sogar eine Delikatesse.
Zuletzt holte sie noch ihren Anorak aus dem Schrank, streifte ihn über und wuchtete dann
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