Jezebel
deshalb erschrak es auch, als der Mann plötzlich vor ihr stand und wegen der ebenfalls hochgezogenen Kapuze wie ein dunkles Gespenst mit bleich angemaltem Gesicht wirkte.
Er grinste Susan an.
Sie blies die Luft aus und war etwas erleichtert, weil sie keinen Fremden vor sich sah, sondern Archie Todd, der von vielen Menschen im Ort als Trottel beschimpft wurde. Er lebte allein, arbeitete nur selten und ernährte sich von dem, was ihm die Handwerker zuteilten.
Mal half er in der Autowerkstatt, mal an der Tankstelle, auch der Bäcker hatte sich schon seiner Dienste angenommen, und selbst die Kirche hatte er geputzt.
»Hallo, Kleine«, sagte er und grinste. »Bei diesem Wetter bist du unterwegs?«
»Ja, wie du siehst.«
»Wo willst du denn hin?«
»Das geht dich nichts an, Archie.«
Er hob die Schultern und ging einmal um Susan herum. Dabei lachte er, bevor er seinen Kommentar gab. »Sogar mit großem Gepäck bist du unterwegs. Alle Achtung. Sieht ganz so aus, als wolltest du für immer aus Euston verschwinden.«
»Und wenn es so wäre?«
Archie blieb wieder vor ihr stehen. Er wischte sein Gesicht trocken.
»Kann ich sogar verstehen, Susan, daß du die Flatter machen willst. Würde ich auch, aber ich bin zu feige. Euston ist ein beschissenes Kaff. Hier kann man nicht leben, aber hin und wieder kriege ich einen Job, deshalb bleibe ich.«
»Ja, ist schon gut, Archie.«
Sie wollte weiter, aber der Mann vor ihr dachte anders darüber. Er kicherte, bevor er fragte: »Was machen denn deine Tierchen, Süße? Hast du sie mit?«
»Nein.«
»Ich habe gehört, daß du sie ißt.« Er grunzte und zog danach eine Grimasse. »Wie schmecken sie denn? Gut? Sind sie würzig, knacken sie schön, wenn du darauf beißt?«
»Ja, wie Nüsse.«
»Könnte ich nicht.«
»Brauchst du auch nicht.«
»Aber es stimmt, nicht?«
»Sicher.«
Er rieb eine Hände mit den klobigen Fingern und wischte sich über die Lippen. Dabei blitzten die Trauerränder unter den Fingernägeln auf.
»Weißt du, Susan, es gibt gewisse Dinge, die mich ekeln. Aber neugierig bin ich schon.«
»Was meinst du damit?«
Er hob beide Hände an und schaute in die Höhe. »Es regnet, wie du siehst. Und bei Regen kommen doch die Würmer hoch, nicht wahr?« Er trat dichter an sie heran, und sein Gesicht bekam einen verschwörerischen Ausdruck. »Ich jedenfalls habe gehört, daß du auch Regenwürmer ißt und sie dir gut schmecken. Ist das so?«
»Es ist nur Eiweiß, gesundes Eiweiß.«
»Klasse.«
»Wieso?«
»Ganz einfach«, sagte er schnell und hechelte dabei. »Wenn ich dir jetzt einen Wurm aus dem Boden hole, würdest du ihn dann vor meinen Augen essen?«
Susan Wade ließ sich Zeit mit der Antwort. »Was soll das? Weshalb fragst du?«
»Ich will nur den Beweis, Susan. Bisher habe ich nur hören können, was sich die Leute so über dich erzählen, jetzt aber möchte ich es doch gern mit eigenen Augen sehen.«
»Und was hast du davon?«
»Weiß ich selbst nicht genau«, gab er zu.
Susan schaute ihm noch kurz in die Augen, bevor sie sich durch ihr Nicken einverstanden erklärte. »Okay, wenn du mir einen Wurm beschaffst, dann esse ich ihn. Oder möchtest du die Hälfte für dich haben?«
»Nein, nein!« rief er und wich mit ausgestreckten Händen zurück. »Um Himmels willen, auf keinen Fall! So was esse ich doch nicht.« Er bückte sich. Durch seine Gartenarbeit war ihm bekannt, wie man die Würmer aus dem Boden lockte. Man mußte es machen wie die Vögel, einfach auf den Untergrund klopfen, was er auch tat. Er probierte es an verschiedenen Stellen, schimpfte dabei, daß sich noch kein Wurm blicken ließ, und Susan Wade beobachtete ihn bei dieser Beschäftigung.
Sie schaute auf den gekrümmten Rücken des Mannes.
»Ha!« Archie schrie auf. »Ich habe einen. Hier ist er.« Obwohl der Boden feucht und matschig war, kniete er sich hin. Er tastete noch einmal mit den Händen nach und hatte den Wurm dann gefangen. Er hielt ihn zwischen beiden Fingern, um ihn vorsichtig aus dem Loch zu ziehen.
Archie Todd war abgelenkt. Darauf hatte sich Susan Wade schon längst eingerichtet, und ihr Plan stand fest. Sie trat seitlich an den Mann heran, der nicht in ihre, sondern in die entgegengesetzte Richtung schaute.
So sah er auch nicht, wie das Mädchen die Arme hob und die Hände zusammenlegte.
»So, ich habe dich!« sagte er. In seiner Stimme klang Genugtuung mit.
»Ja«, entgegnete Susan Wade nur.
Dann schlug sie zu.
Sie traf dort, wo sie auch hatte
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