Jezebel
geschah so schnell, daß wir davon überrascht wurden.
An der anderen Dachseite entlang rutschte sie nach unten, und eigentlich hätten wir den Aufschlag hören müssen, darauf warteten wir vergeblich. Bis auf ein seltsames Schwirren blieb es still. Mücken, die in einer gewaltigen Wolke das Weite suchten?
Suko und ich waren an die Rückseite der Leichenhalle geeilt, um von dort ins Leere zu schauen, denn von Jezebel sahen wir keine Spur mehr.
»Weg«, sagte ich. »Das hatte ich mir gedacht.« Nicht weit entfernt standen Bäume. Dahinter war die Mauer des Friedhofs zu sehen. Wenn sie die überklettert hatte, wurde sie bestimmt nicht mehr gesehen. Das konnten wir uns abschminken.
»Sie hat nicht vergessen, was ihr die Menschen hier angetan haben«, sagte ich leise. »Ja, das bedeutet Rache.«
»Und weiter?«
»Daß die Leichenhalle bald für all die Toten zu klein sein wird«, sagte Suko.
Ich räusperte mich. »Die Frage stellt sich, wie wir dies verhindern können?«
»Indem wir Jezebel fangen.«
»Schön, dann lock sie her.«
»Mit Zucker?«
»Meinetwegen mit einem Hamburger, aber wir müssen sie stellen, Suko, wir müssen es. Sie ist ja nicht allein. Jede verdammte Fliege oder Mücke gehorcht ihr.« Ich schüttelte den Kopf. »Damit komme ich zunächst einmal nicht zurecht.«
»Mit dem Namen denn?«
»Wieso?«
»Jezebel«, sagte Suko. »Hast du ihn schon mal gehört. Kennst du dich aus?«
»Nein.«
»Aber es gibt gewisse Assoziationen, John. Denk an Raniel, Ezechiel, an Gabriel, Uriel und so weiter.«
»Tippst du auf einen Engel?«
»Ich weiß nichts anderes. Oder hast du noch nicht in diese Richtung gedacht?«
»Das schon. Aber den Namen habe ich nie gehört.«
»Da sollten wir uns gar keine Sorgen machen«, sagte mein Freund. »Es gibt in den Sagen unzählige Engel und auch verstoßene Engel. Wer kann diese Namen alle behalten?«
Ich winkte ab. »Es ist ja auch nicht wichtig. Zunächst müssen wir herausfinden, wo sie sich aufhält. Sie muß einfach ein Versteck haben. Ob hier im Ort oder außerhalb, wobei ich eher annehme, daß sie nahe der Menschen bleibt, weil sie an ihnen Rache nehmen will.«
»Okay, stellen wir uns auf Euston ein. Trotzdem denke ich, daß sie sich noch irgendwo versteckt hält. Vielleicht sogar außerhalb. Dahin kann sie sich nach ihren Raubzügen immer wieder zurückziehen.«
»Alles ist möglich«, gab ich zu, um mich dann umzudrehen, denn ich hatte Geräusche gehört.
Pfarrer Glendale wollte nach uns sehen. Er war froh, uns gesund und munter zu finden, denn er erklärte uns, daß er schon das Schlimmste befürchtet hätte, als er nichts von uns hörte.
»Nein, nein, wir sind okay.«
»Aber sie ist weg – oder?« Er drehte sich auf der Stelle und entdeckte keinen Hinweis, abgesehen von einigen Insekten, die die nähere Umgebung unsicher machten.
»Das war vorauszusehen«, sagte Suko. »Für uns ist jetzt wichtig, daß wir sie finden. Ich denke mir, Mr. Glendale, daß Sie uns dabei helfen können.«
Der Pfarrer wollte lachen, was ihm nicht ganz gelang. »Ich? Ich soll Ihnen helfen?«
»Ja.«
»Wie kommen Sie denn darauf? Ich bin froh, daß ich noch mein Leben habe.«
»Das sind wir auch«, sagte Suko. »Aber Sie kennen diese Susan Wade. Das haben Sie uns gesagt.«
»Da war sie ein Kind.«
»Schon. Nur hat sie hier gewohnt.«
»Bei Ihren Großeltern, von denen nur noch die Großmutter lebt.«
»Genau«, sagte Suko. »Und ihr möchten wir einen Besuch abstatten. Wir können uns nämlich vorstellen, daß die Enkelin auch dorthin zurückgekehrt ist, wo sie einst herkam. Wenn auch nur für kurze Zeit.«
Glendale überlegte. »Meinen Sie das wirklich?«
»Wo würden Sie denn ansetzen?« fragte ich.
»Keine Ahnung.« Er schlug gegen seine Stirn. »Ich bin in den letzten Tagen nicht mehr ich selbst. Ich bin völlig durcheinander, schon verstört, kann man sagen. Das ist mir alles zuviel gewesen. Ich komme da einfach nicht mit zurecht.«
Ich legte dem Mann die Hand auf die Schulter. »Bitte, Sie brauchen auch nicht über Ihren eigenen Schatten zu springen. Nur eine kleine Hilfe, denn Sie wissen im Gegensatz zu uns, wo wir die Großmutter finden können.«
»Das weiß ich natürlich.«
»Fahren Sie mit?«
»Und dann?«
Ich merkte schon, daß es ihm nicht recht war. »Gut, dann beschreiben Sie uns den Weg. Wir werden ihn schon finden.«
»Danke, das ist besser. Ich möchte mich nämlich in meine Kirche zurückziehen. Nur dort fühle ich mich relativ sicher.
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