Jezebel
Haben Sie etwas zu schreiben dabei?«
»Ja.« Ich reichte ihm einen Kugelschreiber.
Einen Zettel trug er in der Innentasche. Sukos Rücken diente als Unterlage. Von der Kirche aus zeichnete er uns den Weg auf. Es war nicht weit, und zum Glück stand das Haus der Wades auch etwas außerhalb. An diese Stelle malte Glendale ein Kreuz. »Da ist es!«
Ich hatte zugeschaut und bedankte mich.
Der Pfarrer umklammerte meinen linken Arm. »Bitte, Mr. Sinclair«, sagte er. »Bitte, tun Sie alles, was in Ihren Kräften steht, damit dieser verdammte Alptraum von uns genommen wird. Es hat schon genug Tote gegeben. Vernichten Sie Jezebel, und das sage ich sogar als Pfarrer. Vernichten Sie diese Person, dann sind wir bestimmt auch die verfluchte Plage los. Das ist wie in der Bibel, als die sieben Plagen über die Menschheit kamen. In einer stecken wir mittendrin.«
Ich lächelte ihm zu. »Keine Sorge, Mr. Glendale, bisher haben wir noch immer das geschafft, was wir wollten. Zumindest in den meisten Fällen. Für uns ist wichtig, daß wir an Jezebel herankommen, und ich hoffe, daß uns ihre Großmutter dabei helfen kann, sonst sieht es schon ziemlich düster aus.«
»Ja, das kann man sagen.«
Wir gingen zum Rover zurück. Umtanzt wurden wir dabei von Mücken und Fliegen, und ich wurde den Eindruck nicht los, daß die Zahl der Tiere zugenommen hatte. Je dunkler es wurde und je länger Jezebel sich in Euston aufhielt, um so stärker vermehrten sie sich. Aber wir sahen keine Spinnen mehr, und mutierte Libellen griffen uns auch nicht an.
Der Pfarrer brachte uns bis zum Auto. »Ich werde auch für Sie beide beten«, sagte er.
»Tun Sie das«, gab ich lächelnd zurück und schlug die Tür zu.
Der Kirchenmann winkte uns noch nach, wie ich im Rückspiegel sah. Suko meinte: »Dessen Welt ist aus den Fugen geraten.«
Ich hob die Schultern. »Wenn du ehrlich bist, ist die Welt längst aus den Fugen geraten. Denk nur an den Rinderwahnsinn.« Ich schüttelte den Kopf. »Es will mir einfach nicht in den Schädel, daß Menschen so verbohrt und uneinsichtig sein können. Man hat es seit langem gewußt, und trotzdem wurde weitergemacht.«
»Das hier ist ein anderer Wahnsinn.«
»Richtig, Suko, ein dämonischer.« Ich winkte ab, denn ich hatte keine Lust mehr, darüber zu sprechen. Außerdem mußte ich mich auf das Fahren und auf den Weg konzentrieren.
In Euston hatte sich nichts verändert. Es war nach wie vor ein ruhiger, ein stiller Ort, in dem die Gefahr sich immer weiter ausgebreitet hatte.
Manchmal fuhren wir durch wahre Insektenwolken. Zumeist nur Mücken, aber allein ihre Existenz wies uns darauf hin, wie weit und intensiv Jezebel schon ihre Fäden gesponnen hatte.
Bald würde die Dämmerung kommen. Ich hatte schon vorher die Scheinwerfer eingeschaltet, überholte einen Mopedfahrer, der sich vermummt und seine Kleidung bis über den Kopf gezogen hatte, um sich vor den kleinen Biestern zu schützen.
Suko dirigierte mich. Hin und wieder schaltete ich die Wischer ein und spülte mit Spritzwasser nach, um den Schmier der toten Insektenkörper vom Glas zu wischen.
Spinnen krochen nicht über den Boden. Dafür sah ich wieder eine dieser großen Libellen. Ich machte Suko darauf aufmerksam. Mein Freund preßte nur die Lippen zusammen. »Warum sagst du nichts?«
Er hob die Schultern. »Was bringt das? Es wird immer schlimmer. Wir müssen Jezebel finden.«
»Zuerst ihre Großmutter.«
»Hoffentlich lebt sie noch.«
Da hatte Suko gar nicht mal so unrecht. Auch ich hatte mich schon mit dem Gedanken beschäftigt. Sie war wahnsinnig, was ihre Rache anging.
Sie würde auf nichts und niemanden Rücksicht nehmen, und damit schloß ich ihre eigene Verwandtschaft ein.
Die große Libelle blieb in unserer Nähe. Sie tanzte mal an der Seitenscheibe entlang, dann wieder prallte sie gegen die Frontscheibe, aber sie wurde nicht zerquetscht, sondern tickte immer wieder weg.
»Sieht so aus, als hätte uns Jezebel einen Beobachter geschickt«, meinte Suko.
»Der traue ich alles zu.«
»Du mußt gleich nach links, wo das Schild auf den Sportplatz hinweist.«
Ich bog an der entsprechenden Stelle ab. Später rollten wir durch eine schmale Straße, die von dicht zusammenstehenden Häusern flankiert war. Die Menschen hielten sich darin auf. Ab und zu sahen wir sie hinter den Fenstern stehen und nach draußen schauen. Bestimmt hatte es sich herumgesprochen, daß Susan Wade als Rächerin zurückgekehrt war.
Erica Wade wohnte in einem eigenen Haus.
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