Jezebel
Es war alt und ziemlich klein.
Wir konnten unseren Rover davor parken, blieben aber noch für eine Weile im Auto sitzen, weil wir die Libelle suchten.
Sie war nicht mehr da. Zumindest nicht zu sehen. Zugleich öffneten wir die Türen.
Die kühle Luft lag wie Dampf über dem Ort. Vor unseren Lippen kondensierte der Atem. Ich hatte die Tür kaum geschlossen, als ich wieder das Brummen hörte.
Sie war also noch da!
»Vorsicht, Suko!«
»Schon gehört.« Mein Freund trat zurück. Ich stand noch an der anderen Wagenseite und entdeckte sie als erster. Diesmal flog die Libelle auf Suko zu, und sie versuchte erst gar nicht, sich im Zickzack zu bewegen, sondern nahm den normalen Weg.
Blitzschnell hatte Suko seine Jacke ausgezogen. Er ließ das Tier kommen, das in die Jacke hineinflog und dann zerquetscht wurde. Mein Freund schüttelte das Kleidungsstück aus und nickte mir zu.
»So habe ich es auch gemacht.«
»Wenigstens ein kleiner Erfolg.«
Weitere Angriffe erfolgten nicht. Zumindest nicht von übergroßen Libellen. Die Fliegen interessierten uns nicht, wir schlugen sie weg, wenn sie zu nahe herankamen.
Ich ging als erster auf die Haustür zu. Hinter einem Fenster brannte Licht. Ich ging davon aus, daß uns die Bewohnerin schon entdeckt hatte und hoffte, daß sie nach dem Klingeln die Tür öffnete.
Das passierte zunächst nicht.
Ich klingelte noch einmal.
Hinter uns fuhr ein Auto vorbei. In ihm saßen Kinder. Wir hörten ihre Stimmen selbst durch die geschlossenen Scheiben. Hoffentlich wurden sie nicht erwischt.
»Wer ist denn da?«
Die Frau war jetzt an der Tür, und sie hatte ihre Frage so laut gestellt, daß ich sie hören konnte.
»Sind Sie Mrs. Wade?«
»Ja. Aber wer sind Sie? Ich kenne Sie nicht.«
Das änderte sich bald, denn ich stellte Suko und mich vor. Ich fügte auch hinzu, daß wir aus London kamen, Polizisten waren und daß es um Susan ging.
»Es gibt sie nicht mehr.«
»Doch, Mrs. Wade. Sie nennt sich jetzt Jezebel. Wir sind gekommen, um ihren Umtrieben ein Ende zu bereiten. Aber wir brauchen Informationen, deshalb öffnen Sie bitte!«
Sie überlegte noch. Nach einer Weile hörten wir das Kratzen des Schlüssels, dann zog sie die Tür so weit auf, bis sich die Sicherungskette spannte.
Ich steckte meinen Ausweis durch den Spalt. Die Frau zwinkerte mit den Augen. »Ich habe meine Brille nicht dabei, aber…«
»Glauben Sie uns, bitte.«
»Kommen Sie rein.« Erica Wade öffnete die Tür sehr hastig, und ebenso hastig drückte sie diese wieder hinter uns zu, wobei sie die Sperrkette vorlegte.
Daß hier eine ältere Person wohnte, sah man. Es roch auch etwas muffig.
Per Handschlag begrüßten wir die Frau. Sie zitterte. Bestimmt nicht nur wegen der zahlreichen Insekten. Aber das würden wir sie später fragen.
Mrs. Wade war klein, grauhaarig und sah traurig aus. Wie festgemeißelt stand dieser Ausdruck in ihren Augen. So wirkten Menschen, die unter Weltschmerz litten.
Sie führte uns in die kleine Küche, in der auch das Licht der Deckenlampe brannte. Bevor wir zum Tisch gingen, um uns zu setzen, reagierte Suko. Er hob blitzartig seinen Arm und schlug zu. Mit der Faust hatte er die an der Wand sitzende Riesenlibelle erwischt und sie mit einem Schlag zerschmettert.
»So«, sagte er und nickte uns zu. »Das hatte einfach sein müssen.«
Die alte Frau staunte ihn an. »Sie haben sie getötet.«
»Sicher.«
»Ich traute mich nicht. Aber ich möchte Ihnen etwas zeigen.« Sie deutete in den kleinen Flur und zur Treppe hin.
»Was sollen wir sehen?« erkundigte ich mich.
»Ich möchte, daß Sie sich beide das Zimmer meiner Enkelin ansehen. Aber machen Sie sich auf etwas gefaßt.«
»Keine Sorge, wir sind Kummer gewohnt.«
»Das sagt sich so leicht«, murmelte die Frau und übernahm die Führung, obwohl sie Schwierigkeiten mit dem Laufen zu haben schien. Mit einer Hand mußte sie sich am Geländer festhalten. »Es ist nicht schön, wenn man alt wird, meine Herren. Und noch schlimmer ist es, wenn man dabei allein ist. Mein Mann ist vor einigen Jahren gestorben, aber glauben Sie nicht, daß ich darüber hinweg bin. Das wird wohl nicht der Fall sein.«
Am Ende der Treppe blieb sie stehen und mußte tief durchatmen. Sie wischte über ihr Gesicht, hustete und deutete mit der Hand in einen schmalen Flur. »Ihr Zimmer ist am Ende.«
»War sie schon hier?« fragte ich.
Die Worte hatten sie überrascht. »Warum?«
»War sie hier?«
Erica Wade senkte den Kopf. »Ja«, gab sie zu. »Meine
Weitere Kostenlose Bücher