Jillian Hunter
Stratfield. Wagen Sie es nicht, mich nach mehr Details zu fragen."
Beim erneuten Glockengeläut wurde er wieder ernst. „Hat Edgar irgendeine Vorstellung davon, was Ihre Tante da macht?"
„Ich hoffe nicht."
„Dann halten Sie sie in Gottes Namen auf. Ich glaube nicht, dass er je einer Frau wehgetan hat aber wir sollten das Risiko nicht eingehen, herauszufinden, wie weit er bereit ist zu ge- hen."
Chloe beschloss, dass sie verrückt sein musste. Sie konnte sich nur allzu gut vorstellen, wie die Spanische Inquisition, besser bekannt als die Familie Boscastle, sie über das Wie und Warum dieser unkonventionellen Romanze aushorchen wür- de. Heath würde sie vermutlich auf einen Stuhl in der Speise- kammer fesseln, wie er es in ihrer Kindheit mehr als einmal getan hatte. Grayson würde irgendetwas Ekliges - beispiels- weise eine tote Krähe - über ihrem Kopf baumeln lassen, um sie zu ängstigen und fügsam zu machen.
Emma, die holde Diktatorin, würde die Befragung durch- führen und in der Hoffnung um den Stuhl schleichen, dass Chloe zusammenbrach und wichtige Informationen preisgab. Was sie aufgrund ihrer wundersamen Sturheit nie tat. „Sag uns genau, wie Viscount Stratfield, ein toter Mann, dir den Hof gemacht hat."
Und Chloe wäre gezwungen, ihr zu antworten: „Auf die üb- liche Weise. Erpressung. Drohungen. Indem er mein Mitleid erregte. Indem er mich bis zur besinnungslosen Glückselig- keit küsste."
Zu diesem Zeitpunkt entstünde dann ein Tumult. Drake, De- von und Heath würden in die Speisekammer stürzen, um die Geisel zu befreien. Ein wüster Kampf mit den polierten Mes- sern und Gabeln des Butlers würde entbrennen, bis entweder
die Haushälterin oder die Gouvernante auftauchte, um sich um den flegelhaften Haufen zu kümmern.
Chloe schüttelte den Kopf und lächelte über die bittersüße Erinnerung. Wie einfach war das Leben in jenen Tagen gewe- sen, als ihre ganze Familie noch vereint war. Wo ...
„Wo warst du die ganze Zeit, Chloe?", flüsterte Pamela, weil sie bemerkte, dass Chloe in der Tür stand. „Du hast die ganze Zeremonie verpasst."
„Ich, hm, habe in der Galerie Wache gehalten. Ist es deiner Mutter gelungen, den Geist zu vertreiben?"
Pamela seufzte und ließ ihre Kerze wieder in den Wandhal- ter gleiten. „Nach ihrem ganzen Katzengejammer und all den Gebeten, um seine Seele Ruhe finden zu lassen, ist er vermut- lich froh, dass er tot ist."
Beim Klang ihrer Stimmen fuhr Tante Gwendolyn herum und presste ihre Bibel und die Glocke an die Brust. „Ich glau- be, ich hatte Erfolg!", flüsterte sie triumphierend.
Chloe blickte neugierig in den leeren Raum, aber sie ver- mied es, das Bett anzusehen, wo Dominic verwundet wor- den war. Sein eigener Onkel. Bei dem Gedanken wurde ihr schlecht, und tausend Fragen gingen ihr durch den Kopf. „Wo- her weißt du das? Es sieht genauso aus wie vorher."
„Nun", erwiderte ihre Tante, „du kannst seine Gegenwart nicht mehr spüren, oder?"
„Ich habe seine Gegenwart zu keinem Zeitpunkt gespürt", erklärte Pamela ohne den Versuch, ihre Enttäuschung zu ver- bergen. „Ich hatte eigentlich gehofft, wir würden den Geist wenigstens sehen, bevor wir ihn bannen."
Ihre Mutter sah sie mit gerunzelter Stirn an. „Warum soll- test du diesen lästigen Geist sehen wollen?"
„Damit wir ihn fragen können, wer ihn ermordet ..." Pa- mela brach mit einem furchterregenden Schrei ab, als eine massige, vierbeinige Gestalt sich zwischen Chloe und sie drängte und in den Raum sprang.
Tante Gwendolyn japste erschrocken und hielt die Bibel wie einen Schutzschild vor sich, was den Eindringling jedoch nicht im Geringsten beeindruckte.
Es war ein Hund. Genauer gesagt, Stratfields geliebter Jagd- hund Ares, der, nachdem er offensichtlich Angst hatte, bei
der Bibel schwingenden Frau und ihrer kreischenden Toch- ter nicht willkommen zu sein, bei Chloe Zuflucht suchte. Sie blickte erschrocken zu ihm hinunter.
„Was machst du hier?", flüsterte sie und tätschelte ihm ver- stohlen den glänzenden braunen Kopf. Sie kannte natürlich die Antwort. Der Hund war hinausgelaufen, während Domi- nic damit beschäftigt gewesen war, sie zurück in den Gang zu schmuggeln. Was sollte sie nur tun?
Tante Gwendolyn senkte erleichtert die Bibel. Das Ge- räusch von Schritten auf der Treppe hallte durch die Galerie. „Hör mit diesem hysterischen Gekreische auf, Pamela. Es ist nur der Hund Seiner Lordschaft."
Chloe atmete tief durch. Trotz all ihrer lästigen Eigenschaf-
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