Jillian Hunter
ten war Tante Gwendolyn in ihrem Herzen eine wahre Tier- liebhaberin. Sie mochte beim Anblick eines Bettlers auf der Straße die Nase rümpfen, aber bei einem verlassenen Kätz- chen schmolz sie dahin.
Pamela beruhigte sich lange genug, um kunstvoll auf dem Bett zusammenzubrechen, nur um dann mit einem Schrei wie- der aufzuspringen, als wäre ihr eben erst eingefallen, dass sie genau da lag, wo Stratfield ermordet worden war. „Wo kommt er her?", fragte sie und beäugte den Hund ängstlich.
Sir Edgars Stimme störte die Unterhaltung. Er hielt eine lange Duellpistole in der Hand und hatte Sir Humphrey und drei männliche Dienstboten im Schlepptau. „Was war das für ein schrecklicher Lärm? Was ist passiert?" Er blickte sich erst im Raum um, bevor er den Hund an Chloes Seite entdeckte. Sie sah, wie sein Gesicht vor Wut erstarrte. „Wo ist dieses Tier hergekommen? Hat es jemanden angegriffen? Was haben Sie alle in diesem Raum zu suchen?"
Chloe fiel auf, dass seine Hand leicht zitterte, obwohl er an- sonsten beherrscht wirkte. Sie erinnerte sich an Dominics Be- hauptung, dass Edgar den Hund töten wollte, und fühlte sich schuldig, weil Ares mit ihr hinausgekommen war. Und weil sie unwissentlich der Grund dafür war, dass Dominic mögli- cherweise entdeckt oder gefährdet werden könnte.
„Wir spazierten durch die Galerie und hörten in diesem Zimmer ein Geräusch", erklärte sie ruhig. „Als wir hineinge- gangen sind, um es zu untersuchen, haben wir den Hund ent-
deckt. Er hat niemandem Schaden zugefügt, Sir Edgar."
Tante Gwendolyn hob eine Augenbraue bei dieser Wahr- heitsbeugung, warf Chloe jedoch zugleich einen Blick zu, den man als Zustimmung werten konnte. Es war nicht die klügste Ausrede der Welt, aber zumindest bewahrte sie die drei Frau- en davor, wie sensationsgierige Geisterbeschwörer auszuse- hen. Und was noch wichtiger war, so sagte Chloe sich, Domi- nic wurde nicht einmal erwähnt.
Sir Edgar schien seine Selbstbeherrschung wieder gefunden zu haben und senkte die Pistole. „Ich hatte mich schon gefragt, wo das erbärmliche Tier sich versteckt hat. Man hätte meinen sollen, dass die Dienstboten diesen Raum überprüfen. Ich hät- te ihn am Tag meiner Ankunft erschießen lassen sollen."
„Sie hätten ganz sicher nichts dergleichen tun sollen", ent- gegnete Tante Gwendolyn entrüstet. „Das arme Tier trauert um seinen Besitzer. Das ist ein Zeichen für Loyalität und In- telligenz."
Sir Edgar blickte belustigt zu Chloe und Pamela hinüber. Seine Manieren waren jetzt wieder perfekt. „Wie Sie meinen, Lady Dewhurst."
„Darüber hinaus", sagte Tante Gwendolyn nachdenklich, „scheint der Hund eine Zuneigung zu Chloe gefasst zu haben. Ich vermute, er versucht, mit uns zu kommunizieren."
„Kommunizieren?", wiederholte Chloe ungläubig.
Tante Gwendolyn schüttelte ungeduldig den Kopf über ih- ren Mangel an Verständnis. „Über den Tod seines Herrn. Ich glaube, Stratfield schickt uns eine Botschaft aus dem Jen- seits."
„Dass er Chloe mag?", fragte Pamela mit Unschuldsblick.
Sir Edgar blickte hinaus auf die von Kerzen beleuchtete Ga- lerie und murmelte: „Ich sollte dafür sorgen, dass die Dienst- boten das ein für allemal regeln."
Vor Schreck hielt Tante Gwendolyn den Atem an. „Sie wür- den doch nicht etwa ein unschuldiges Tier töten? Ihr Neffe liebte diesen Hund, Sir Edgar. Es wärmte mir stets das Herz, zu sehen, wie das Tier Lord Stratfield bei seinen häufigen Aus- ritten folgte."
Chloe blickte den muskulösen Hund aus dem Augenwinkel an. Sie war selbst keine begeisterte Tierliebhaberin, aber sie
wollte auch nicht, dass ein Tier zu Schaden kam. Wobei an der massigen Dogge nichts war, was ihr eigenes Herz wärmte. Was der Besitzer des Tieres mit ihrem Herzen machte, war eine ganz andere Sache.
Abgesehen davon konnte Chloe sich nicht sicher sein, dass der Hund Sir Edgar nicht irgendwann zu Dominics Versteck führen würde, egal, was ihre Tante über Loyalität und Intelli- genz gesagt hatte. Und wenn Sir Edgar dazu fähig war, seinen eigenen Neffen abzuschlachten, war nicht abzusehen, was er tun würde, wenn er mit dem wiederauferstandenen, leibhafti- gen Dominic konfrontiert wurde.
„Ich habe mir immer so sehr einen eigenen Hund ge- wünscht", platzte sie heraus und klang dabei so sehr wie ein dummes Mädchen, dass sie sich innerlich schüttelte.
Tante' Gwendolyn starrte sie mit einer Mischung aus Un- glauben und Freude an. „Hast du das, meine Liebe?"
Pamelas Augen
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