Jillian Hunter
die- sen Meisterspion und ein Muster an Diskretion, um Hilfe zu bitten. Nur ihr Versprechen Dominic gegenüber hinderte sie daran.
Sie wusste genau, dass für einen Mann wie ihn, dessen Ver- trauen in so ziemlich jeden Menschen zerstört worden war, ein weiterer Verrat das Ende jeder Menschlichkeit bedeuten konnte, die in seinem Herzen noch überlebt hatte. Sie würde es nicht wagen, seine strengen Verhaltensregeln zu verletzen. Seine leidenschaftlich verteidigte Ehre war alles, was ihm noch geblieben war. Es war eine zweischneidige Tugend, die sie willig respektierte, auch wenn sie daran zu verzweifeln drohte.
Sie wartete dennoch auf ihn. Rastlos wachte sie mitten in der Nacht auf und brannte vor Verlangen, das er in ihr ge- weckt hatte, ohne es zu stillen. Es gelang ihr nie, wieder ein- zuschlafen, und so ging sie stets zum Fenster und durchsuchte den nebligen Wald nach einem Zeichen von ihm.
Kurz vor Einbruch der Dämmerung winkte sie sogar ein oder zweimal mit ihrer Chemise zum Wald hinüber, um zu se- hen, ob er antwortete.
Vier Tage später trugen ihre Bemühungen, Aufmerksam- keit auf sich zu ziehen, Früchte, wenn auch bei dem falschen Mann. Lord St. John besuchte sie an einem Spätnachmittag, als sie gerade mit Ares im Obstgarten spazieren ging.
„Halten Sie diesen Hund zurück, Chloe", sagte er, als er von hinten an sie herantrat. Er trug ein weißes Leinenhemd und Kniehosen, ein zerknitterter Umhang hing über seinen brei- ten Schultern. Seine Stiefel waren schmutzig und zerkratzt.
„Ich kann nicht einmal so tun, als wäre ich romantisch, wenn ich Angst haben muss, dass dieses Monster mir in den Hintern beißt."
Chloe lachte und zog die Hundeleine näher an sich. Sie hat- te vergessen, wie jungenhaft und einfach Justin sein konnte, wie direkt er verglichen mit den Männern in London war, die versuchten, sie mit ihrem Stammbaum und ihren eleganten Kleidern zu beeindrucken, und dabei am Ende nur dastanden wie jämmerliche Narren.
„Er hat mir noch nicht ein einziges Mal in den Hintern ge- bissen, nur zu Ihrer Information", verkündete sie.
„Dann ist er nicht gefährlich, sondern nur dumm", erwi- derte er mit funkelnden Augen. „Wenn ich Ihr Hund wäre, dann ..."
Er trat auf sie zu, ihre Blicke trafen sich. Mit plötzlichem Schrecken erkannte Chloe, dass er gerade versuchte, den Mut aufzubringen, sie zu küssen. Die Vorstellung schreckte sie nicht, niemand konnte sie in dem ummauerten Garten sehen, aber Ares kauerte sich plötzlich zusammen und knurrte. Justin japste in gespielter Angst und sprang hinter einen knorrigen Apfelbaum. „Du meine Güte! Das war nicht mein Hintern, den er da angeknurrt hat. Das war ein anderer Teil meiner Anatomie, den ich noch höher schätze."
Chloe biss sich belustigt auf die Unterlippe. „Glauben Sie, ich könnte eine neue Mode für Anstandsdamen beginnen?"
„Glauben Sie, Sie könnten ihn anbinden, damit ich ohne Kastrationsängste mit Ihnen reden kann?", fragte Justin halb im Scherz.
„Lassen Sie meine Tante nicht solche Ausdrücke hören." Er grinste. „Ihre Tante war diejenige, die mich hinausge- schickt hat, um Sie zu suchen."
Chloe blickte überrascht zum Haus. „Das hat sie getan?"
„Meine Eltern haben Sie und Ihre Familie heute Abend zum Dinner zu uns eingeladen. Versprechen Sie mir, dass Sie die Einladung annehmen." Er nahm ihre Hand und führte die Fingerspitzen an seine Lippen. „Bitte, Chloe, bitte. Ich werde mich in den Fluss stürzen, wenn Sie nicht kommen."
Plötzlich wünschte sie sich voller Ungeduld, wieder alleine zu sein. Was stimmte nicht mit ihr? Vor nicht allzu langer Zeit
hatte sie Justin noch nett gefunden. Warum verglich sie ihn ständig mit dem düsteren Liebhaber, der alles verkörperte, was sie hätte meiden sollen? Warum erschien er ihr plötzlich wie ein zu groß geratener Schuljunge und nicht wie ein Mann? Vor allem nicht wie ein dunkler, eindringlicher, irritierender Mann. „Ich muss wirklich erst meine Tante fragen ..."
„Chloe!", rief ihre Tante aus dem Fenster des Salons. „Frag Justin, ob wir heute Abend um sechs oder um sieben erwartet werden."
Er lachte. „Nun, da haben Sie Ihre Antwort." Er küsste ih- re Fingerknöchel, bevor er ihre Hand losließ. „Lassen Sie die Bestie heute Abend zuhause, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Ich beabsichtige, selbst ein wenig an Ihnen zu knabbern."
Chloe sah ihm nach, wie er aus dem Garten stolzierte und sein zerknitterter Umhang um ihn her flatterte. Sobald er das Tor
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