Jillian Hunter
suchen?"
Der unangekündigte Besucher war Adrian Ruxley, Viscount
Wolverton, Berufssöldner, verlorener Sohn und Erbe eines Herzogtums. Mit einem schiefen Grinsen zog er seine leder- nen Reithandschuhe aus und setzte sich auf den Boden vor der Falltür, aus der Dominic erst kürzlich aufgetaucht war. Durch sein kurzes blondes Haar wurden die kantigen Züge seines gebräunten Gesichtes angenehm betont. Seine hasel- nussbraunen Augen wirkten besorgt. „Dominic, alter Freund, jetzt machst du mir wirklich Angst. Wir hatten uns für heute Abend um neun im Wald verabredet. Ich glaube nicht, dass ich die Zeit falsch verstanden habe. Du konntest unser Tref- fen nicht einhalten?"
Dominic blickte düster auf. „Mein Onkel hatte Gäste zum Essen."
„Das habe ich bemerkt. Das Anwesen hat vor teuren Ker- zen nur so geleuchtet. Ich hätte mich beinahe selbst eingela- den, nur um das Gesicht des Colonels zu sehen." Adrian stieß über die Schulter einen leichten Pfiff aus, und das Pferd, auf dem er gekommen war, trat in den schützenden Schatten des Mühlhauses. „Es muss für dich ziemlich interessant gewesen sein, wenn du deswegen unsere Verabredung vergessen hast", sagte er vorsichtig.
Einige Momente lang herrschte Stille. Vor Jahren schon hatten sie Freundschaft geschlossen, auf derselben Militär- akademie, auf der sie auch Heath Boscastle kennengelernt hatten. Die beiden waren erst vor Kurzem - nach einer Zeit, die ihnen wie ein ganzes Leben erschienen war - wiederver- eint worden. Adrian war von seinem stolzen, verbitterten Vater verstoßen worden, der ihn für das Ergebnis der heim- lichen Liebesaffäre seiner jungen Frau hielt, und hatte die letzten acht Jahre seines Lebens in selbstauferlegtem Exil verbracht. Vor drei Monaten war er auf die Bitte seines Va- ters hin zurückgekehrt. Da Adrian kein Narr war, lockte ihn die Aussicht auf das väterliche Vermögen.
Als Lebemann, Rebell, Söldner und Zyniker war er eines der beliebtesten Gesprächsthemen in London - und der ein- zige Mann, dem Dominic vollkommen vertraute.
Er legte die Pistole hin, die er aus seinem Hosenbund ge- nommen hatte. „Ehrlich gesagt, hatte ich vergessen, dass wir uns treffen wollten."
„Nun, das ist kein Weltuntergang", erwiderte Adrian sanft. „Wenn du deinem Onkel nachspioniert hast, hätte ich nicht ge- wollt, dass dir wichtige Informationen entgehen. Es ist nicht mehr so wie früher, als wir uns wegen jedes Rocks überworfen haben."
„Ach nein?"
Adrians ausdrucksvolle Augen verengten sich nachdenk- lich. „Meinst du das ernst? Du warst bei einer Frau? Wie konn- test du nur alles aufs Spiel setzen? Ich meine, ich weiß, wie ver- lockend es sein muss nach einem Monat der Enthaltsamkeit in einem stickigen Versteck, aber um Gottes willen - ich hoffe nur, die Dame weiß nichts."
„Sie weiß alles."
„Du verdammter, verzweifelter Narr", entgegnete Adrian erstaunt. „Nun, ich bete zu Gott, dass wir sie auszahlen oder zumindest fortschicken können, wenigstens bis das hier alles vorbei ist. Wer, in Gottes Namen, ist sie überhaupt? Eines dei- ner Hausmädchen?"
„Lady Chloe Boscastle." Dominic schloss die Augen und nahm einen tiefen Atemzug. An seinem Hemd befanden sich noch Spuren ihres unvergesslichen Duftes. Himmel, sein gan- zer Körper pulsierte bei dem Gedanken, sie zu halten. Er fühlte sich wie irgendein wildes Tier, das sich so nach seiner Gefährtin verzehrte, dass es am liebsten unter ihrem Fenster geheult hätte.
„Boscastle? Nicht die Schwester von Heath Boscastle?"
„Ich fürchte doch."
Adrian lachte voller überraschter Bewunderung, und sei- ne weißen Zähne glänzten. „Du bist der einzige Mann, den ich kenne, dem es irgendwie gelungen ist, sozusagen aus dem Grab heraus eine der begehrenswertesten Damen in ganz Lon- don zu verführen. Gott steh dir bei, Dominic."
„Es war nicht Teil meines ursprünglichen Planes. Ich ... bin da hineingerutscht sozusagen."
Adrian wurde wieder ernst, als begriffe er genau, dass sein Freund ihm das Wichtigste verschwiegen hätte. „Es ist schwer, ihr zu widerstehen, oder?"
Dominic rieb sein stoppeliges Kinn. „Unmöglich. Und ich als Leiche kann auch nicht angemessen um sie werben, wie
du bereits so taktvoll erwähnt hast."
„Ich nehme an, es gibt Möglichkeiten."
„Sie ist die Mühe wert."
„Lass mich noch etwas unternehmen, um den Colonel zur Strecke zu bringen."
„Du hast bereits genug getan", erwiderte Dominic langsam und blickte auf den mondbeschienenen
Weitere Kostenlose Bücher