Jim Knopf und die Wilde 13
Gefahr mit euch teilen. Ich denke, so gehört es sich unter Freunden.“
„Da haben Sie recht“, antwortete Lukas,
„also, kommen Sie!“ Alle drei kletterten nun durch das Kohlennachschubloch in
das Innere der Kajüte. Lukas zog den Tenderdeckel von innen fest zu, so daß er
schloß wie der Deckel auf einer Büchse. Dann schob er auch noch vor das
Kohlennachschubloch eine eiserne Verschlußplatte, und nun war alles bereit.
Lukas gab dem Schildnöck, der von draußen durch das Fenster hereinschaute, ein
Zeichen mit der Hand. Uschaurischuum schwamm zu dem Kesselventil und dem
Wasserhahn — Lukas hatte ihm vorher gezeigt, was er tun müsse — und öffnete
beide.
Die drei in der Kajüte hielten den Atem
an und lauschten.
Leises Gluckern war im Kessel zu hören.
Und dann stieg plötzlich das Wasser an den Fensterscheiben in die Höhe, so sah
es jedenfalls aus. In Wirklichkeit begann die Lokomotive zu sinken, erst
langsam, dann immer schneller. Als sie ganz unter die Wasseroberfläche tauchte,
wurde es auf einmal sehr still, denn das Getöse der Wellen war nicht mehr zu
hören. Das Führerhäuschen war von grünem Dämmerlicht erfüllt. Nach und nach
hörte die Lokomotive auch auf zu schaukeln und sank wie ein Fahrstuhl ruhig und
stetig abwärts, wobei das grüne Licht immer schwächer wurde. Vorne bei den
Seepferdchen sahen die drei Passagiere die Meerprinzessin abwärts schwimmen,
neben dem Führerhäuschen ließ Uschaurischuum sich in die Tiefe sinken.
Lukas untersuchte die Türritzen und
auch den Verschluß des Kohlennachschubloches. Bis jetzt schien alles in
Ordnung. Kein Wassertropfen drang ein. Er nickte befriedigt.
„Ich denke, es wird gehen“, sagte er,
klopfte seine Pfeife aus und steckte sie in die Tasche.
Allmählich wurde es ganz stockfinster.
Sie mußten jetzt schon sehr tief unter dem Meeresspiegel sein. Jims Herz
klopfte heftig, und der Scheinriese hielt die Hände krampfhaft gefaltet. Lukas
betätigte sich am Schaltbrett und ließ Emmas Scheinwerfer aufleuchten. Zwei
grelle Lichtkegel durchdrangen die grünschwarze Finsternis. Sonderbare Fische
zogen vorüber und glotzten verwundert in die ungewohnte Helligkeit. Manche
waren lang und dünn wie Speere, andere waren kurz und sahen beinahe wie Koffer
aus, die mit Stacheln bespickt waren. Dann zogen riesige, flache Fische vorüber
wie fliegende Teppiche. Viele von ihnen waren mit leuchtenden und glimmenden
Punkten und Mustern bedeckt, einige hatten sogar kleine Faternchen, die sie an
langen Angelruten vor sich hertrugen. Es war eine sehr unheimliche und zugleich
sehr wunderbare Welt, die an den Blicken der Reisenden vorüberzog. Noch immer
sank die Lokomotive, als ob es ins Bodenlose hinabginge. Endlich gab es einen
Ruck. Sie waren auf Grund. Aber was sie nun im Scheinwerferlicht ihrer Emma
sahen, war schauerlich.
Wohin sie auch blickten lagen versunkene
Schiffe neben-, über- und untereinander. Die meisten waren schon halb
zerfallen, die Planken kaum noch zu sehen vor Algen, Muscheln und Korallen. Die
Schiffsrümpfe zeigten gähnende Löcher, durch die man ins Innere hineinschauen
konnte. Einmal entdeckte Jim schaudernd ein Gerippe, das auf einer
tangüberwucherten, halbzerfallenen Truhe saß, aus der Goldstücke blinkten.
Es war nicht einfach für die kleine
Seejungfrau, einen Weg für die Lokomotive zwischen den Wracks zu finden. Oft
mußten sie mitten durch ein zerborstenes Schiff hindurchfahren, wie durch einen
Tunnel. Es war wahrhaftig seltsam, wie die Lokomotive, von einer ganzen Wolke
von Seepferdchen gezogen, durch diesen riesigen, unübersehbaren Schiffsfriedhof
dahinglitt.
„Das alles“, sagte Lukas gedämpft,
„sind Schiffe, die an den Magnetklippen zerschellt sind seit vielen
Jahrhunderten.“ Und nach einer Weile fügte er hinzu: „Gut, daß es in Zukunft
nicht mehr vorkommen wird.“
„Ja“, meinte Jim leise, „gut, daß
Nepomuk jetzt da is’.“
Nun hatte die Lokomotive den Fuß der
Magnetklippe einmal umkreist. Sursulapitschi lenkte ihre Seepferdchen in einem
zweiten, größeren Bogen um den Eisenfelsen. Dann in einem dritten und vierten
immer größeren Kreis. Die Reisenden spähten angestrengt nach allen Seiten zu
den Fenstern hinaus und durchforschten jeden dämmerigen Winkel mit ihren
Blicken. Aber Molly war nirgends zu sehen. Nur Hunderte und Aberhunderte von
Wracks. Einige Stunden mochten schon mit dieser erfolglosen Suche vergangen
sein, als Jim auf einmal gähnte und vor sich hinmurmelte: „Ich glaub’,
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