Jim Knopf und die Wilde 13
ihr Schiff zu den übrigen Gefangenen hinunterstießen und dann alles, was
sie an Waffen, Munition und wertvollen Sachen fanden, zu sich herüberschafften.
Sobald sie damit fertig waren, legten
sie eine Pulverladung in das Innere des Wracks, zündeten eine lange Lunte an,
sprangen auf ihr Schiff zurück und fuhren rasch davon. Als sie hundert Meter
entfernt waren, gab es auf dem verlassenen Staatsschiff einen gewaltigen Knall,
dann brach es in der Mitte auseinander, und beide Teile versanken in der Tiefe.
Einen kurzen Augenblick noch sah Jim den Kessel der kleinen Lokomotive glänzen,
dann war auch sie in den Wellen verschwunden.
„Molly!“ schluchzte Jim leise, und zwei dicke Tränen liefen ihm
über seine schwarzen Wangen. „Ach, Molly!“
Auf dem Wasser schwammen nur noch
einige Balken und Planken, und etwas weiter entfernt trieb ein kleiner
Holzbottich dahin, über den ein geblümtes Sonnenschirmchen gespannt war. Daß
darin Ping Pong saß, konnte Jim nicht ahnen.
DREIUNDZWANZIGSTES KAPITEL
in dem das Schiff mit den blutroten Segeln im „Land, das
nicht sein darf“ ankommt
Lukas erwachte aus seiner Betäubung. Um
ihn her war es stockdunkel, aber er hörte jemanden neben sich atmen.
„Hallo“, flüsterte er, „ist da wer?“
„Sind Sie es, Herr Lokomotivführer?“
antwortete die Stimme des Kapitäns ebenso leise. „Gut, daß Sie noch am Leben
sind. Wir fürchteten schon, Sie wären tot.“
„Ah, Kapitän, Sie sind es“, raunte
Lukas, „wer ist noch alles da?“
„Außer mir sind noch elf meiner Leute
hier“, gab der Kapitän zurück, „wir sind alle gefesselt. Und unsere kleine
Prinzessin liegt neben mir. Sie ist wohlauf, soweit man das sagen kann.“
„Was war das eben für ein Knall?“
erkundigte sich Li Si angstvoll. Und der Kapitän meinte: „Wahrscheinlich haben
die Piraten unser Schiff in die Luft gesprengt.“
„Und Jim Knopf“, fragte Lukas, „wo ist
er?“
Keine Antwort.
„Jim!“ rief Lukas und begann wie
wahnsinnig an seinen Fesseln zu zerren. „Ist er nicht hier? Hat ihn jemand
gesehen? Wo ist der Junge? Ist ihm was geschehen? Wo ist mein Freund?“
Die Fesseln schnitten sich tief ein,
und Lukas gab den Versuch, sich zu befreien, auf. Bedrücktes Schweigen
herrschte in dem finsteren Raum.
Nach einer Weile schluchzte Li Si auf
und stammelte: „Jim! Lieber Jim! Warum habe ich nicht auf dich gehört! Ach,
Jim, wie konnte ich nur so häßlich zu dir sein…“
„Zu spät, Li Si“, sagte Lukas mit
erstickter Stimme, „zu spät!“ Jim saß oben in der Takelage zwischen den blutroten
Segeln und fror. Seine durchnäßten Kleider klebten an seinem Leib, die Zähne
klapperten ihm, und mit klammen Gliedern hielt er sich an den Seilen fest. Noch
immer pfiff der Taifun mit unverminderter Heftigkeit über die donnernden Wogen.
Aber das war noch nicht das Schlimmste. Viel entsetzlicher war, daß es in
dieser Höhe so gewaltig schaukelte. Jim wußte manchmal kaum noch, wo oben und
unten war, und ihm wurde nach und nach so sterbensübel und elend, wie noch nie
in seinem Leben. Aber mit der Entschlossenheit der Verzweiflung klammerte er
sich fest, denn die Piraten durften um keinen Preis darauf aufmerksam werden,
daß er hier oben saß, sonst war alles verloren! Er war der einzige, der die
Gefangenen vielleicht noch befreien konnte.
Jim biß die Zähne zusammen. Er hoffte,
daß der Sturm irgendwann einmal wieder aufhören würde. Und hatte der Drache
nicht gesagt, das Ziel der „Wilden 13“ seien die Eisernen Klippen? Vielleicht
konnten Nepomuk oder Uschaurischuum helfen. Wenn Jim geahnt hätte, wohin das
Schiff wirklich fuhr, hätte er vielleicht nicht die Kraft gehabt,
durchzuhalten. Die Seeräuber hatten ihren Plan, Frau Mahlzahn zu treffen,
längst aufgegeben. Dieser Überfall durch das getarnte Schiff hatte sie
mißtrauisch gemacht. Irgend etwas sagte ihnen, daß dahinter der Drache stecken
mußte.
Das Schiff mit den blutroten Segeln
fuhr vom Sturmwind getrieben in sausender Fahrt immer weiter nach Süden — dem
schrecklichen „Land, das nicht sein darf“ entgegen!
Einen ganzen langen Tag dauerte diese
schaurige Reise, denn die Heimat der „Wilden 13“ lag irgendwo in der Nähe des
Südpols. Ein anderes Schiff hätte dazu vielleicht Wochen gebraucht, aber dieses
Piratenschiff legte die riesige Strecke zurück, noch ehe die Nacht hereinbrach.
Zuerst erblickte Jim fern am Horizont
nur undeutlich etwas, das aussah wie eine riesenhafte schwarze Säule, die
Weitere Kostenlose Bücher