Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jim Knopf und die Wilde 13

Jim Knopf und die Wilde 13

Titel: Jim Knopf und die Wilde 13 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ende
Vom Netzwerk:
aus
dem sturmzerwühlten Meer bis in die finsteren Wolken hinaufragte. Eine Säule
von solcher Größe und Dicke, wie sie noch nie ein Mensch gesehen hat. Dann sah
er, daß dieser gewaltige Pfeiler ununterbrochen von Blitzen durchzuckt war und
sich mit rasender Geschwindigkeit drehte. Und nun hörte er auch das
unbeschreibliche Brausen, das von diesem Pfeiler ausging wie das tiefste, alles
durchbebende Dröhnen unzähliger Orgeln. Und plötzlich wußte Jim, was es war,
worauf das Schiff Zufuhr. Lukas hatte ihm einmal erzählt, was eine Wasserhose
ist: Ein Hurrikan, ein Wirbelsturm von solcher Gewalt, daß er das Wasser des
Meeres mit sich in die Höhe reißt und bis in den Himmel hinaufschleudert.

    „Sie werden doch nicht dort
hineinfahren!“ war alles, was Jim noch denken konnte. Aber fast im gleichen
Augenblick war das Schiff schon dort. Und nun erwies sich die fabelhafte,
schier unglaubliche Segelkunst der „Wilden 13“, die auf der ganzen Welt nicht
ihresgleichen hatte. Zuerst fuhren sie ein paarmal mit wachsender
Geschwindigkeit um die wirbelnde Sturmsäule herum. Als sie die gleiche
Schnelligkeit erreicht hatten, steuerten sie das Schiff plötzlich in den Wirbel
hinein und ließen es mitreißen. Langsam hob es sich nun in die Höhe und wurde
immer weiter ins Innere der Wasserhose hineingesaugt. Dieses Innere war hohl
wie bei einem riesenhaften Rohr. Plötzlich setzte das Schiff auf festem Grund
auf und schoß in einer Art Gleitbahn dahin, die schneckenförmig um einen
spitzen Felsenberg aufwärts führte. Da im Inneren des Hurrikans Windstille
herrschte, glitt das große Schiff auf der Gleitbahn weiter, bis sein Schwung zu
Ende war, dann kam es zum Stehen. Jim, der fast betäubt in den Seilen der
Takelage hing, brauchte eine Weile, bis er wieder soweit bei Sinnen war, daß er
umherschauen konnte. Der Felsenberg, an dem sie gelandet waren, ragte mit
vielen unheimlichen Zacken und Spitzen wohl an die tausend Meter in die Höhe.
Das pechschwarze Gestein war so unbeschreiblich zerrissen und zerklüftet, als
sei es von Millionen Blitzen zerhackt. Unzählige kleine und große Höhlen und
Blasen gaben dem ganzen Berg das Aussehen eines riesigen Schwammes. Außerdem
liefen überall in den Felsen rote Adern, die den ganzen Berg mit ihrem
schauerlichen Geflecht durchzogen.
    Dies also war das schreckliche „Land,
das nicht sein darf“.
    Um den Sinn dieses Namens wirklich zu
verstehen, muß man etwas wissen, was Jim damals noch nicht wissen konnte: Alle
Inseln und Berge auf der Welt befinden sich dort, wo sie von Natur aus
hingehören. Bei diesem Land aber war das nicht der Fall. Warum es doch da war,
werden wir später noch erfahren. Jedenfalls sollte hier nichts anderes sein als
das glatte Meer, über das der Wind ungehindert hinstreichen konnte. Deshalb
empörten sich die Elemente, die in ihrer Ordnung gestört waren, gegen das
Bestehen dieses Landes und tobten mit aller Macht dagegen. Aber weil die Stürme
in sinnlosem Wüten von allen Seiten zugleich kamen, hatte sich der gewaltige
Wirbel gebildet, in dessen Innerem nun der Felsenberg geschützt und ruhig
dalag.
    Jim beobachtete, wie die Piraten alles,
was sie aus dem kaiserlichen Schiff geraubt hatten, von Bord und in eine der
großen Höhlen hineinschleppten. Als sie damit fertig waren, holten sie die
Gefangenen und trieben sie ebenfalls in das schwarze Felsentor, zuerst den
Kapitän, nach ihm die elf Matrosen, dann kam Li Si und als letzter Lukas.
    War es Zufall oder hatte eine Ahnung
den Lokomotivführer veranlaßt, sich noch einmal umzuschauen und einen Blick in
die Takelage des Schiffes hinauf zu werfen? Jedenfalls tat er es, und im
gleichen Augenblick begann sein Herz höher zu schlagen: Für den Bruchteil einer
Sekunde hatte er Jims schwarzes Gesicht hinter einem der roten Segel
auftauchen, ihm zunicken, und wieder verschwinden sehen. Lukas ließ sich seine
Entdeckung vor den Piraten mit keinem Wimpernschlag anmerken, aber einem sehr
scharfen Beobachter wäre wohl doch nicht das kurze Aufblitzen in seinen Augen
entgangen.
    Nun war Jim allein auf dem Schiff. Er
hatte schon gefürchtet, die Seeräuber würden vielleicht die Segel einziehen und
ihn doch noch entdecken. Er konnte ja nicht wissen, daß die ,Wilde 13’ niemals
die Segel einholte, um in jedem Augenblick fahrbereit zu sein. Da zunächst
keiner der gefährlichen Burschen wieder ans Tageslicht kam, hatte Jim genügend
Zeit, das ,Land, das nicht sein darf’ gründlich zu betrachten. Eine

Weitere Kostenlose Bücher