Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jimmy, Jimmy

Jimmy, Jimmy

Titel: Jimmy, Jimmy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark O'Sullivan
Vom Netzwerk:
kommst du mit?«, fragt Jill.
    »Nein.« Ich sehe nicht, wozu ich eine Entschuldigung bräuchte, aber ich erfinde sie trotzdem. »Ich muss Mam aufräumen helfen.«
    »Dann vielleicht morgen?«
    »Ja, morgen. Vielleicht.«
    Als ich in den Garten zurückkomme, passen sich Dad, Sean und Brian wieder Bälle zu. Dad lächelt auch wieder. Wenn er den Ball gespielt hat, schaut er zu mir her, als wollte er sehen, ob ich beeindruckt bin, und ich hebe beide Daumen. Gerade spielt ihm Sean wieder den Ball zu, und diesmal probiert er eine Art Übersteiger. Ich sehe, wie sich seine Füße verheddern, und mir bleibt fast das Herz stehen. Zum Glück ist Brian nah genug bei ihm, um ihn festzuhalten, bevor er hinfällt. Eigentlich hatte ich noch mal mitspielen wollen, aber jetzt lasse ich es. Nebenan beginnt Argos zu jaulen. Es hört sich an, als wüsste er genau, dass sich niemand dafür interessiert.
    Drinnen im Haus ist es still. Ich höre nur, wie sie im Bernabéu gegen den Ball treten und draußen auf der StraßeAutos über die Bodenschwellen rumpeln. Dann dreht die Waschmaschine im Schleudergang hoch und wird nach einer Weile wieder leiser. Ich denke an Angie. Ich stelle mir vor, ich wäre Angies Geist. Aber keine verlorene, unglückliche Seele, sondern eine, die keinen Schmerz mehr spürt, nicht mal mehr Mitleid. Ich stehe nur da und könnte immer so stehen bleiben.
    Dann höre ich Mam. Sie ist in der Küche und telefoniert. Es hört sich an, als spräche sie absichtlich leise. Als hätte sie etwas zu verbergen. Ich stelle mich so nah an die einen Spaltbreit geöffnete Tür, wie es möglich ist, ohne dass sie mich sieht.
    »Das ist zu viel«, sagt sie. »Ich begreif’s nicht. Was soll das heißen? Dass Jimmy …«
    Das Krankenhaus , denke ich. Und es sind keine guten Nachrichten. Ich riskiere einen Blick durch den Türspalt. Mam hält einen Brief in der Hand, der ihr Gesicht verdeckt. Sie zittert. Ihre Stimme wird vollkommen tonlos, als sie sagt:
    »Das heißt, er hat mich belogen?«
    Nur die Wand hindert mich daran, zu Boden zu sinken. Mir wird schwarz vor Augen.
    »Hör zu, Martin«, höre ich Mam sagen. »Ich möchte darüber nicht reden, nicht jetzt. Ich kann’s nicht. Ich ruf dich später noch mal an.«
    Sie legt auf, und ich schleiche mich so geräuschlos wie möglich zur Treppe. Auf dem Weg in mein Zimmer muss ich an Dads Arbeitszimmer vorbei. Es ist immer noch abgeschlossen, falls er irgendwann seine Angst überwindet und die Treppe heraufkommt. Das Arbeitszimmer wäre noch zu viel Vergangenheit auf einmal. Es könnte für ihn wie einSchlag auf den Kopf sein. Ein Schlag, wie ich ihn gerade spüre.
    Ich gehe in mein Zimmer ein Stockwerk höher und schließe die Tür hinter mir. Ich gehe zum Kleiderschrank, hole die rote Lockenperücke heraus und setze sie auf. Ich setze mich vor der verspiegelten Innenseite der Schranktür auf den Boden, aber ich singe nicht. Ich denke: Guck dir diese dusselige Kuh an!
    Dann kommt eine SMS. Wahrscheinlich Jill, aber ich sehe trotzdem nach, nur um etwas anderes zu tun, als mich selbst zu beschimpfen. Ich habe richtig vermutet. Aber da ist noch eine Nachricht. Von einer unbekannten Nummer. Ich lese sie halb aufgerichtet auf den Knien.
    KÖNNEN WIR REDEN? BALD? BRIAN
    Auf der Treppe in den ersten Stock liegt ein Läufer, sodass man nicht direkt die Schritte hört. Was man hört, ist das müde Knarren ausgetretener Stufen. So wie jetzt. Ich weiß, dass es Mam ist. Beim Treppensteigen hat jeder einen anderen Rhythmus. Ich frage mich, ob sie mich vielleicht doch gehört oder gesehen hat. Ich hoffe, dass sie nicht zu mir heraufkommt, weil ich nicht wissen will, worum es in dem Telefongespräch vorhin ging. Sie kommt nicht.
    Vom Flur im ersten Stock kommt das Geräusch eines Schlüssels, der sich im Schloss dreht. Sie geht in Dads Arbeitszimmer. Ich höre sie herumgehen und Schubladen öffnen und schließen. Ich höre dumpfe Schläge, als fielen Bücher auf den Boden. Oder als würden sie auf den Boden geworfen. Ich lege mich auf mein Bett und wage kaum zu atmen. Wonach sucht sie?

9
    Unsere Geschichtslehrerin Mrs Moore redet über den Irischen Bürgerkrieg. Über Familien, die von Loyalitätskonflikten zerrissen wurden, über den Mord an Michael Collins und die von beiden Seiten begangenen Gräueltaten, nachdem man noch wenige Monate zuvor Seite an Seite für die Unabhängigkeit gekämpft hatte. Mrs Moore erzählt, wie ihre eigenen Großväter zu Feinden wurden und, obwohl sie weiter in

Weitere Kostenlose Bücher