Jimmy, Jimmy
derselben Stadt wohnten, für den Rest ihres Lebens kein Wort mehr miteinander sprachen, selbst dann nicht, als der Sohn des einen die Tochter des anderen heiratete. Ich mag Geschichte eigentlich. »Fantasy für Erwachsene« hat Dad sie immer genannt. Aber heute muss ich so tun, als interessierte ich mich dafür, was Mrs Moore erzählt. Ich bin wieder in der Schule, aber noch nicht bei der Sache. Ich bin anwesend, mehr nicht.
Es ist verrückt, wie du dich nur lange genug normal benehmen musst, um dich irgendwie normal zu fühlen. Normal genug, um zurechtzukommen, jedenfalls. Du ziehst deine grüne Schuluniform an, gehörst wieder dazu, und man könnte meinen, dein Leben unterscheide sich kaum von dem der anderen.
Erst nahm es uns Dad übel, dass wir nach den Sommerferien wieder in die Schule gingen. In seinen Augen war esein weiteres Zeichen dafür, dass wir ihn im Stich ließen. Weder Sean noch ich schliefen zu der Zeit bei ihm im Zimmer. Auch Mam nicht, was mich immer noch beunruhigte, aber um fair zu sein: Selbst wenn sie es gewollt hätte, hätte Tom sie nicht gelassen. Er kommt jetzt besser mit Dad klar, aber er klammert sich immer noch rund um die Uhr an sie.
Vielleicht hab ich Dad wirklich im Stich gelassen. Vielleicht spürt er eine Kälte an mir, die vorher nicht da war. Ich konnte Mams Telefongespräch nicht aus dem Kopf bekommen. Worüber hatte er Mam belogen? Ich weiß nicht, warum, aber alles, was mir dazu einfiel, war, dass es eine andere Frau in seinem Leben gegeben haben musste. Vielleicht hab ich auch nur zu viele Soaps gesehen. Jedenfalls ist es nicht so, dass er früher viel ausgegangen wäre, höchstens ab und zu auf einen Drink mit Martin.
Außerdem leben wir nicht gerade in einer anonymen Großstadt. Neuigkeiten verbreiten sich hier schnell, besonders wenn es um Affären oder Ähnliches geht. Trotzdem besteht die Angie in mir darauf, dass er natürlich oft zu Lesungen unterwegs war oder irgendwelche Leute traf, mit denen er gearbeitet hat. Dass er schon mal über Nacht wegblieb und ab und zu nach London flog, um seine Verleger zu treffen oder die Werbeleute, von denen er Aufträge bekam.
Wenn ich schon beunruhigt und verwirrt war, war es Dad noch viel mehr. Er war wieder zurück in seinem verrückten Niemandsland. Am Tag, bevor die Schule anfing, sagte er stundenlang kein Wort, bis er Mam plötzlich fragte:
»Sean und Eala gehen zur Schule, du kümmerst dich um Tom und das Haus und das Essen – und was tue ich?«
»Ich weiß eine Menge Dinge, die du tun kannst, keine Angst«, sagte Mam.
»Ich sollte eine richtige Arbeit haben. Sachen reparieren oder zusammenbauen oder so was.«
Keiner von uns wusste, was er dazu sagen sollte. Mam rettete uns aus der peinlichen Situation, aber man merkte, wie viel Mühe es sie kostete. Ich weiß nicht mal mehr, was sie sagte. Es ist, als wäre es in einem alles verschlingenden schwarzen Loch verschwunden. Du bist da, du hörst zu, und trotzdem wird alles in einen Winkel deines Gehirns gesaugt, wo nicht gedacht, sondern alles nur versteckt wird.
Die ganze erste Schulwoche weigerte sich Dad, mit einem von uns zu sprechen. Auch wenn Brian vorbeikam, war der Empfang stumm und kalt. Dad spielte nicht Fußball, stieg nicht auf den Hometrainer und sah nicht fern. Nicht mal Father Ted . Es war schon ein Problem, ihn morgens aus dem Bett zu kriegen. Ich versuchte es auch ein paarmal, und er nannte mich ein »abgefecktes Luder«, was erst lustig, aber bald nur noch blöd war. Sean meinte, wir sollten ihn in Ruhe lassen, was mich endgültig auf die Palme brachte. Wir stritten jeden Morgen wegen irgendwelcher Kleinigkeiten, und ich machte mich so schnell wie möglich davon, froh, ein paar Stunden aus dem Haus zu sein.
Dann änderte sich endlich etwas. Sean und mir zeigte Dad immer noch die kalte Schulter, aber er redete immer mehr mit Mam. Am Freitag der zweiten Schulwoche spielten wir schon wieder heile Familie, und natürlich drehte sich alles um ihn.
Es war einer dieser grauen Tage, die sich nicht entscheiden können, ob es erst Morgen oder schon Abend sein soll. Ich schleppte mich die Treppe hinunter und dachte: Gottsei Dank ist Freitag. Ich war ziemlich mit den Nerven runter. Ich bekam eindeutig zu wenig Schlaf. Ich war so müde, dass ich die Überraschung am Küchentisch erst gar nicht bemerkte.
Als ich fünf war, wünschte ich mir vom Weihnachtsmann ein Dreirad. Dad hat oft von dem lang zurückliegenden Weihnachtsmorgen erzählt. Ich kann mich an nichts
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