Jimmy, Jimmy
Wundensäubert. Sean ist nicht gerade zimperlich, aber ich sage nichts. Brian sitzt auf dem Bett, und ich wische ihm das Blut aus dem Gesicht und vom Hals. Ich passe auf, dass ich ihm nicht wehtue. Er hat sich zwei kleine Taschentuchstöpsel in die Nasenlöcher geschoben. In seine Augen kommt wieder Leben, und er sieht dämlich aus. Aber nicht hässlich. Ich helfe ihm in einen von Dads Reißverschlusspullis, und es ist, als würde ich ein erschöpftes Kind anziehen.
Draußen in der Einfahrt spricht Mam mit den Polizisten, die neben ihrem Streifenwagen stehen. Ihre Strickjacke spannt unter den vor der Brust verschränkten Armen. Ein paar Strähnen haben sich von der grünen, zu ihren Kleidern passenden Haarspange gelöst und bewegen sich in der leichten Brise, die inzwischen aufgekommen ist, vor ihrem Gesicht. Mam lächelt. Sie sieht unglaublich gut aus. Beide Polizisten sind jung und versuchen gar nicht erst zu verbergen, wie fasziniert sie von ihr sind. Schließlich gehen sie zu dritt hinüber zu Mrs Casey.
»Suchen Sie den Mann ?«, fragt Dad im Flüsterton.
»Halt’s Maul, Jimmy!«, sagt Sean.
Ich stehe am Fenster und warte, dass sie zurückkommen. Oder wer weiß, vielleicht will ich auch nur Brian nicht anschauen, weil ich weiß, dass Angie recht hat und ich nicht mehr viel von ihm sehen werde. Für meinen Geschmack dauert es viel zu lange, bis die Polizisten wieder ins Auto steigen und langsam aus der Einfahrt manövrieren. Aber sie fahren noch nicht weg. Mam wartet draußen, sie schaut die Straße hinauf und hinunter, und ich frage mich, warum. Die Antwort lautet: Fiona Sheedys kleiner roter Toyota Starlet biegt in die Einfahrt.
Natürlich , denke ich, Tom . Jemand muss auf ihn aufpassen, während wir zum Krankenhaus fahren. Ich würde ihn lieber mitnehmen, aber das wäre nicht fair. Er hat schon genug mit Unfällen und Krankenhäusern zu tun gehabt. Wenigstens hat er die Geschichte heute verschlafen, und darüber bin ich froh. Du bist nicht mehr » die Zusatzüberraschung « , Tom , denke ich. » Die Zusatzüberraschung « ist jetzt Dad . Und der Himmel weiß, was die nächste Überraschung sein wird.
Mam kommt zum offenen Fenster neben dem Bett.
»Gehen wir!«, sagt sie. »Wir bekommen eine Polizei-Eskorte durch die Stadt. Wird bestimmt lustig.«
Noch nie hat sie in so einem zynischen Ton geredet. Ich höre die Polizeisirene heulen, obwohl die Polizisten sie noch gar nicht eingeschaltet haben.
12
Am frühen Freitagabend haben sie in der Notaufnahme gut zu tun, aber es geht nicht hektisch zu.
»Die Hektik kommt noch«, lachte die Schwester, die Brians und Dads Krankenblatt ausfüllte. »Dann sind wir immer noch die Notaufnahme, nur nicht mehr ganz so entspannt.«
Sie haben Brian vor einer Stunde zum Röntgen gebracht, seitdem ist er nicht wieder aufgetaucht. Sean ist vor einer halben Stunde zum Rauchen raus und auch noch nicht zurück. Dad ist in einem der Behandlungsräume. Er wäre schon früher drangekommen, wenn da nicht dieser milchbärtige Rennfahrer mit der Tussi auf dem Beifahrersitz gewesen wäre. Sieht so aus, als hätte er sein Auto aufs Dach gelegt, als er auf einem Supermarktparkplatz 180-Grad-Turns probieren wollte. Ihr richten sie jetzt den gebrochenen Arm. Er hat kaum einen Kratzer abgekriegt und hängt pausenlos an seinem Handy, weil er allen seinen Freunden von dem Unfall erzählen muss. Er ist aufgedreht wie ein Kind nach einer Geisterbahnfahrt, aber das Mädchen hat er kein einziges Mal erwähnt.
Wir sind eine ganze Menge Wartende, die sich auf mehrere Reihen Stühle verteilen, und alle behalten die Schwester an der Rezeption im Auge. Wir registrieren jede ihrerBewegungen, als wären wir Zuschauer in einem zu hell beleuchteten Theater, aber wenn sie etwas sagt, verstehen wir trotzdem kein Wort. Am anderen Ende unserer Stuhlreihe sitzt ein älteres Ehepaar, und es ist unmöglich zu sagen, wer von den beiden mehr Hilfe braucht. Sie sehen gleich krank und geschrumpft aus, an beiden schlackern die Kleider. Aber sie halten Händchen. Sie haben einander. Was mehr ist, als Mam und Dad im Alter haben werden , denke ich, obwohl ich es nicht denken möchte.
Als hinter uns die Eingangstür aufgeht, drehen wir alle die Köpfe, als hingen sie an denselben Fäden. Es ist Starsky. Er hat den Kragen seiner Lederjacke hochgeschlagen. Seine weißen Sneakers quietschen auf dem blank gewienerten Boden. Er gibt den wütenden Bullen.
»Das war eine schwere Tätlichkeit, Judy«, sagt er. »Dafür
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