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Jimmy, Jimmy

Jimmy, Jimmy

Titel: Jimmy, Jimmy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark O'Sullivan
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sie sowieso abknallen willst?«
    Komischerweise kann ich in dem Lärm besser reden. Ich meine, richtig reden. Aufrichtig. Ich erzähle Mam, die sich wieder hingesetzt hat, woher Dad die Idee mit Argos’ Rettung hatte. Aber sie möchte nicht, dass ich mich schuldig fühle.
    »Er weiß nicht mehr, was man tun darf und was nicht«, sagt sie. »Er kennt die Grenzen nicht mehr.«
    »Ich weiß.«
    Mam schaut mich an und durch mich hindurch, liest meine Gedanken auf die verrückte Art und Weise, wie es Mütter können.
    »Was ist?«, frage ich, obwohl mir klar ist, dass sie mich ertappt hat. Es ist mir klar, und trotzdem versuche ich ein Ablenkungsmanöver. »Ich meine, ich weiß das mit den Grenzen. Miss U hat es gesagt, weißt du nicht mehr?«
    »Irgendwas ist in der Stadt passiert«, sagt sie.
    »Überhaupt nicht. Wir haben einen von den Pennern getroffen, die Dad kennt … gekannt hat … und es hat ihn ein bisschen durcheinandergebracht.«
    Sie glaubt mir nicht. Oder sie glaubt mir und weiß, dass da noch mehr ist. Ihr vorwurfsvoller Blick tut weh. Ich bin hier nicht der Lügner , denke ich, der Lügner ist Dad .
    »Vor ein paar Wochen hab ich gehört, was du Martin am Telefon gesagt hast. Du warst aufgeregt irgendwie. – Worüber hat Dad dich belogen?«
    Sie mustert ihre Handflächen und zieht mit dem Finger die Linien darin nach. Ich bemerke, dass ihre Fingernägel bis aufs Fleisch abgebissen und ein paar davon an den Rändern blutig sind. Ich frage mich, ob es ihr Blut ist oder Dads.
    »Ich wollte erst Klarheit haben, bevor ich mit euch darüber rede«, sagt sie. »Oder wenigstens wissen, worum es eigentlich geht. Ich wollte dir und Sean nicht alles noch schwerer machen. Das habt ihr nicht verdient, Eala.«
    »Niemand von uns hat das, Mam.«
    Sie vergräbt die Hände in den verschränkten Armen, und es ist nicht dieselbe feste Art, die Arme zu verschränken, wie vorhin bei den Polizisten. Sie sieht kraftlos aus. Der ganze Körper. Sie versinkt fast in ihrem Stuhl.
    »Wir hatten … wir haben diese Versicherungen«, beginnt sie. »Lebensversicherungen, die Krankenversicherung, Dads Berufsunfähigkeitsversicherung, solche Sachen. Martin regelt das alles für uns. Und nach dem Unfall wollten wir ein paar davon in Anspruch nehmen, für die Krankenhausrechnungen, die Ratenzahlungen fürs Haus, was eben so anfällt. Seit ich von mir aus den Job gekündigt habe, ist alles ein bisschen eng geworden. Sehr eng.«
    »Und die Versicherungen zahlen nicht?«
    Sie drückt die Fingerspitzen in die Stirn. Als sie die Hände sinken lässt, bleiben weiße Flecken, die sich langsam dunkelrosa färben.
    »Wenn man solche Versicherungen abschließt, wollen sie Kopien von allem Möglichen sehen, der Geburtsurkunde, dem Personalausweis und so weiter. Als Beweis, dass du der bist, für den du dich ausgibst. Und …«
    »Und?«
    »Und Jimmys Geburtsurkunde ist gefälscht.«
    »Gefälscht?«
    Mam nickt, richtet sich gerade auf und streckt den Rücken, als wollte sie sich von einer schweren Last befreien. Ich selbst bin wie vor den Kopf gestoßen. Alles, woran ich denken kann, ist die Party zu seinem vierzigsten Geburtstag, daran, dass die Torte, die Mam gekauft hatte, ein bisschen klein war und wir trotzdem vierzig Kerzen draufsteckten, die er dann alle angezündet hat, und dass die Torte davon so heiß wurde, dass der Zuckerguss geschmolzen ist. Wir kriegten uns nicht mehr ein vor Lachen, weil man die Kerzen nicht auspusten konnte, weil Mam welche gekauft hatte, die sich nicht auspusten ließen, und immer wenn wir dachten, wir hätten sie ausgepustet, gingen sie wieder an. Dad musste die Tortenplatte mit Ofenhandschuhen raustragen, damit nicht noch das Haus abbrannte. … Und dann war ’ s nicht mal dein Geburtstag, Dad?
    »Martin denkt, dass Jimmy irgendwann in Schwierigkeiten geraten ist und seine Identität wechseln musste. Oder man hat sie ihn wechseln lassen …«
    Also wessen Geburtstag war es dann, Dad, für wen haben wir » Happy Birthday « gesungen?
    »Er war zweiundzwanzig, als ich ihn kennengelernt habe. Jedenfalls hat er das behauptet. Hör zu, wir sollten nicht an diesem grässlichen Ort darüber sprechen.«
    Aber was könnte ein passenderer Ort sein, um meineWelt ein zweites Mal auf den Kopf zu stellen? Was wäre passender als dieser Warteraum voller betrunkener, beschädigter, mehr oder weniger verrückter, von Angst geplagter Menschen? Meine Welt steht wieder kopf, und diesmal ist sie auch noch vollkommen leer.
    »Ich

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