Jimmy, Jimmy
kamen, und war erleichtert. Sean auch. Wir waren uns sicher, dass wir die Ice Queen zum ersten und letzten Mal sahen. Wir täuschten uns.
»Gut«, sagte Mam. »Wann können Sie anfangen? Nächsten Montag um acht Uhr morgens?«
»Ist keine Problem«, sagte die Ice Queen.
»Ich hab ’ne Menge Hausaufgaben auf«, murmelte Sean und stakste davon.
»Ich auch«, sagte ich und ging ihm hinterher.
»So ist das bei uns, Marta«, sagte Mam und lachte, um zu überspielen, dass sie sich über uns ärgerte. »Arbeit, Arbeit, Arbeit …«
»Ist keine Problem«, wiederholte die Ice Queen.
Die Frau nervte ohne Ende.
Ich verstehe nicht, warum Mam bis heute nicht sieht, was ich von Anfang an in Martas blassen blauen Augen gesehen habe: Gleichgültigkeit. Dad war für sie nur der nächste Kranke, der nächste Job. Schlimme Sache, schienenihre Augen zu sagen, aber mir ist schon Schlimmeres untergekommen.
Aber Gleichgültigkeit hin oder her, sie besitzt magische Kräfte, was Dad und Tom betrifft. Man hat den Eindruck, die beiden würden alles, wirklich alles, tun, was man ihnen sagt, damit sie ihnen zur Belohnung ihr eisiges Lächeln schenkt. Ich frage mich, ob sie ihnen nicht doch eher Angst einflößt. Aber egal, was es ist, das ihr Macht über Dad verleiht, Liebe ist es nicht. Schon weil er mit Liebe nichts anfangen kann. Ich weiß es, ich hab’s damit versucht.
In der Woche nach seinem Feldzug gegen Mrs Casey versuchte ich alles, um Dad aufzuheitern. Unseren Abendspaziergang konnten wir nicht mehr machen, der Psychiater hatte uns geraten, Dad für eine Weile jeden Stress zu ersparen. Und auch das Bernabéu und der Hometrainer waren gestrichen, bis er auf die neuen Medikamente eingestellt war. Er bewegte sich nur noch schleichend fort, und ich wollte nicht, dass es ihm im Kopf genauso ging. Man musste ihn antreiben, sein Gehirn in Schwung bringen, und ich wusste, dass Mam erst mal nichts in der Richtung unternehmen würde. Dazu war sie viel zu vorsichtig.
Zuerst musste ich mir heimlich die Undertones -CD und die DVD mit »Charlie – Alle Hunde kommen in den Himmel« aus seinem alten Arbeitszimmer holen. Es war zwei Uhr morgens, als ich das unbemerkt tun konnte. Der Schlüssel machte beim Aufschließen ein viel zu lautes Geräusch, aber ich wartete, und niemand schien davon aufgewacht zu sein. Ich schlüpfte ins Zimmer und schloss die Tür hinter mir. Die Jalousien waren heruntergelassen und ließen nur wenig Licht von der Straßenlaterne draußen durch. Und dann fiel ich fast in Ohnmacht. Da stand jemand.
»Dad?«, flüsterte ich und korrigierte mich schnell: »Jimmy?«
Während meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten, wurde mir klar, was passiert war. Ich hatte Dads Arbeitszimmer so lange nicht mehr betreten, dass ich die hölzerne Schaufensterpuppe vergessen hatte. Dazu hatte sie noch jemand umgestellt. Mam, vermutete ich, an dem Tag, als sie hier nach etwas gesucht hatte. Die Schaufensterpuppe ist keine komplette Figur, nur ein Oberkörper mit Kopf. Sie trägt eine Schirmmütze mit dem Timberland-Logo. Noch einer von Dads Scherzen.
Ich bewegte mich vorsichtig vorwärts. Unter den nackten Füßen spürte ich die Bücher und Papiere, die Mam bei ihrer Suche überall verstreut hatte. Ich knipste die Lampe an Dads Zeichenbrett an und sah die Zeichnungen für den letzten Peter-der-Panzer-Band, den, in dem Peter ein Elefant sein will. Er hat diese Freundin, Rosie, die Mechanikerin, die einen magischen Overall und ein rotes Piratentuch trägt und ihn in einen Elefanten verwandeln soll. Auf dem Bild, wo sie es tut, sieht man dicke Rauchwolken und überall Wörter mit Ausrufezeichen: Bumm! Bumm! Autsch! Autsch! Eigentlich schmiedet sie Peter nämlich um, in einen Elefanten aus Eisen. Auf dem nächsten Bild rennt er zu den richtigen Elefanten, die erst misstrauisch sind, ihn aber bald akzeptieren und mit ihm spielen. Das ist natürlich toll für ihn, aber dann hebt er vor Freude den Rüssel und schießt mit scharfer Munition, und alle ergreifen die Flucht. Peter heult sich die Augen aus, als sich wenigstens ein Elefantenjunges aus der Deckung traut, aber da kommt auch schon Rosie und erklärt ihm, dass er eben besser er selbst sein soll, dann wird er auch als das akzeptiert, was er ist.Auf dem letzten, noch nicht ganz fertigen Bild voller Bumms und Autschs schmiedet ihn Rosie dann wieder in einen Panzer um.
Während ich mir das Bild anschaute, wurde mir klar, dass es jeder halbwegs begabte Illustrator zu Ende bringen
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