Jimmy, Jimmy
Jimmy vor, und genau da versuchen diese Leute einzuspringen. Ihm wird das helfen, was sie anbieten. Und uns auch.«
Sie redete noch weiter, aber ich hörte nicht mehr zu. Für mich klang alles, was sie sagte, wie eine Entschuldigung dafür, dass sie ihn dann noch weniger sehen würde als sowieso schon, seit sie wieder arbeitete. Ich hätte schreien können vor Wut, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass ich das Recht dazu hätte. Was tat ich denn für Dad? Nichts. Weil ich es nicht konnte. Oder nicht mehr. Jedenfalls machte er mich, wenn er in meine Nähe kam, nur aggressiv.
Sean kam an dem Abend spät wie immer, so gegen halb elf. Ich weiß nicht, wo er hingeht oder was er tut, seit er nicht mehr mit Brian abhängt. Und ich habe nicht den blassesten Schimmer, warum sie sich verkracht haben. Vielleicht ist es auch gut so. Jedenfalls trinkt Sean nicht mehr, und ich sehe auch nie Anzeichen dafür, dass er kifft.
An dem Abend kam er also gegen halb elf, setzte sich zu uns ins Wohnzimmer und sah so elend aus wie immer. Mam war immer noch aufgekratzt und kam bald wieder aufs Thema zurück: Wie eine Frau namens Foran die Einrichtung zwei Jahre, nachdem ihr Sohn ein Hirntrauma erlitten hatte, gegründet und nach und nach deren Angebot ausgebaut hatte. Wie die Rezession es natürlich noch schwieriger machte, an staatliche Gelder zu kommen, und so weiterund so fort. Ich sagte nichts. Aber meine Blicke signalisierten Sean, was ich von der Sache hielt. Er übernahm dann die Attacke.
»Er wird also mit einem Haufen Spastis am Tisch sitzen und Körbe flechten«, sagte er. »Und wozu soll das gut sein? Zu gar nichts. Du willst ihn nicht hier haben, darum geht’s. Dienstag und Donnerstag sind doch deine freien Tage, oder? Sehr praktisch, muss man schon sagen.«
»Untersteh dich, diese Leute Spastis zu nennen!«, zischte Mam.
»Hab ich doch gerade.«
Das erste Rollenspiel endet, als niemandem mehr etwas einfällt. Eltern und Tochter stehen nur noch da, sagen nichts und haben nicht mal Augenkontakt. Ich denke: Von allem, was sie in den zehn Minuten gemacht haben, kommt das der Wirklichkeit am nächsten.
»Okay«, sagt Miss O’Neill. »Das war schon sehr gut. Und jetzt Eala und …« Hinter mir wird gekichert und gelacht. Miss O’Neill klatscht wieder ohrenbetäubend laut in die Hände, und ich spüre einen Stich weit hinten im Gehirn. »… und Derek.«
Sie hatte ursprünglich zwei Kandidaten für die männliche Hauptrolle und hat lange geschwankt. Die Frage war, Benno Brophy oder Derek Rice. Benno ist einer von den stillen Typen, die ihr eigenes Ding machen. Er sieht gut aus, ist aber schüchtern. Ich vermute, dass er die Rolle gar nicht wirklich haben wollte, weil er einfach nicht gern im Rampenlicht steht. Derek dagegen ist verrückt danach. Er nimmt Tanz- und Gesangs- und Schauspielstunden, seit er laufen und sprechen kann. Letztes Jahr, als Brian für dieHauptrolle ausgesucht wurde, fing er sich kurz darauf einen Virus ein und konnte gar nicht mitmachen. So ist er. Entweder er steht im Mittelpunkt, oder er seilt sich ab.
Ich stehe auf und nehme meinen Platz neben Miss O’Neill ein. »Junge und Mädchen. Er ist zu ihrer Verabredung am Abend vorher nicht gekommen, sie weiß, dass er sich mit einer anderen getroffen hat. Eala, du bist der Junge. Und Derek, ernsthaft bitte und keine Mätzchen, ja?«
Aber er zieht schon die Schwulennummer ab: Hand auf der Hüfte, schlaffes Handgelenk und flatternde Wimpern. Wirklich überrascht bin ich aber nicht. Sein eigener Bruder, Frankie, der jetzt auf ein College in Dublin geht, ist schwul, und solange er noch hier wohnte, war Derek einer seiner fiesesten Peiniger.
»Du bist so originell, Derek«, flüstere ich ihm zu. Was nur dazu führt, dass er noch dicker aufträgt.
»Nicht – so – exaltiert – Derek!«, warnt Miss O’Neill, ein Wort frostiger als das andere.
Er tut, was sie sagt. Aber nur ansatzweise. Ich kann gar nicht sagen, wie mir sein Getue auf die Nerven geht. Jetzt redet er auch noch tuntig. Stopf ihm das Maul! , sagt Angie. Stich zu und dreh das Messer schön langsam um! Und ich tu’s.
»Frankie scheint nicht die einzige Tunte in eurer Familie zu sein. Gesangsstunden, Tanzstunden – alles ganz schön schwul für einen Kerl, findest du nicht auch, Derek?«
Er kann es nicht fassen, und ich selbst bin sprachlos vor Schreck. Noch nie hab ich so was von mir gegeben. Auch noch nie so gedacht. Jill wird meinetwegen rot und schaut weg. Ich weiß nicht, was ich
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